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Dienstag, 31. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 18. Etappe: Pferdeherde, schöne Töne und Holunder-Wunder

Nach Potsdam kommt die Havel

Der wohl schönste Tag der Reise, und er hat schon toll angefangen: mit einer Kerze und einer Einladung nach Frankreich. Ich muss allerdings die Hälfte selbst bezahlen.


Aus Potsdam heraus geht es entlang der örtlichen Marina. Sportstätten aller Art, Gastronomie, Bootshäuser, Ruderclubs. Wir erreichen Werder, die Kleinstadt, aus der am Sonntag der Vater mit seinen zwei Kindern auf dem interessanten Fahrrad kam. Die Stadt ist leider weniger interessant als der Vater bzw. das Fahrrad.


Danach beginnt ein Landschafts- bzw. Naturschutzgebiet, wie wir es noch nie gesehen, geschweige durchfahren haben. Völlige Ruhe, kein Auto, weite Weiden mit Pferden und Kühen. Man könnte auf die Idee kommen, dass verlassene deutsche Gebiete zu Naturschutzgebieten umgewidmet werden, damit man nicht darüber nachdenken muss, wie man sie wieder reanimieren kann.


Irgendwo rechts fließt die Havel, aus den Bäumen melden sich Vögel, die wohl mit unserer Anwesenheit unzufrieden sind. Links läuft ein schmaler Kanal, in dem Frösche quaken, am Rand des Schutzgebietes landet ein Storch hinter einer Mähmaschine, um zu sehen, was in der frischen Mahd zu holen ist. Überall riesige Holunderbüsche, überall Holunderduft.


Kurz vor Mittag im Nirgendwo an der Havel


Wie alles Schöne, muss auch dieses zu Ende gehen. Mit anderen Worten: Wir erreichen Brandenburg an der Havel.


Die Stadt kündigt sich bei Wust mit einem EKZ an. Da wir Wasser brauchen, versuchen wir, einen Zugang zu finden. Das ist nicht einfach, da es zwar viele, überwiegend freie Parkplätze und reichlich Logos an der Fassade gibt. Aber nur drei Zugänge. Und wenn man da reinschaut, möchte man da nicht reingehen.


Also weiter gen Brandenburg. Der Radweg führt zunächst durch ein Gewerbegebiet, er ist gepflastert und bei jeder Einfahrt auf ein Betriebsgelände mit quer gesetzten, zwei Zentimeter hohen Steinen abgegrenzt. Das heißt: Bei jeder Einfahrt gdeht es mit Kadong runter und nach drei Metern mit Kadong wieder hoch.


Welcher Depp kommt auf sowas?


Im weiteren Verlauf wird der Weg zum schmalen Begleiter einer von Lkw hoch frequentierten Landstraße. Irgendwann erreichen wir einen lokalen Getränkemarkt und gönnen uns etwas frisches Wasser. Danach einen Affogato im Zentrum dieser bemitleidenswerten Stadt.


Betriebswohnbau für das ehemalige Bahn-Ausbesserungswerk in Kirchmöser


Weiter fahren wir in Richtung Malge und Kirchmöser. Wieder auf traumhafter Strecke entlang des Wassers, diesmal mit einem netten „Anhängsel“, einem Mann aus der Gegend, der die günstige Gelegenheit einer Zugmaschine nutzt.


Unsere Bleibe ist noch auf dem Weg zu künftiger Blüte

Gegen vier kommen wir am Schloss Plaue an. Das Bauwerk, seine Nebengebäude und den große Schlosspark hat ein Investor aus Berlin gekauft. Er hat erste Gästezimmer eingerichtet, eine Schlossschänke eröffnet und bietet das Areal als Kulisse für Hochzeiten und Feiern aller Art an.


Direkt am See – Achtung: Mücken, die große Stichwunden hinterlassen – liegen außerdem vier Hausboote, die viel besonderes Ambiente für zwei oder bis zu sechs Personen bieten. Das ist alles sehr fein gemacht und durchaus bezahlbar, aber man fragt sich, was man hier im Ort machen soll, wenn man erstmal da ist.


Einmaliger Blick aus dem Hausboot Emma auf den Plauer See


Mangels Alternativen gehen wir hier essen. Es ist ein Stück weg, man sieht also viel von Plaue. Die Küche bietet griechische Kost, der Mokka nach dem Essen dauert mehr als 15 Minuten. Wir gehen lieber, bevor er kommt.


Traumhafte Landschaft, unterbrochen von albtraumartigen Orten

Montag, 30. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 17. Etappe: Radwandern um Potsdam

So fangen schöne Touren an

Dies ist unser 250. Post. Wenn das ein Grund zum Feiern ist, dürfen alle mitfeiern.


Bei Charlotte hatte es gestern Abend einige Diskussionen mit der Kellnerin gegeben, die ein zwar klares, jedoch nicht von der Realität getrübtes Bild der französischen Küche hatte. Das nervte etwas, aber aus der Küche kamen durchaus leckere Sachen.


Laut Vorhersage wird es heute draußen erst ab elf Uhr erträglich, da können wir uns mit dem Frühstück Zeit lassen. Ich gehe zum Bäcker Lenz. Er ist weiter weg als gedacht, ich hätte das Rad nehmen können bzw. sollen.


Beim Bäcker ist es lustig. Die Brötchen heißen Knüppel, der Chef macht die Kasse, und die Verkäuferin schwätzt den Kunden Backwerk auf: „Nehmse von de Streuselplunder, die sind bis Abend alle wech.“ „Nehmich een, nee zwee.“ „Die sind alle wech.“ „Denn machense vier, nee ich nehm fünfe.“


Als wir abends nochmal da waren, warnse wirklich alle wech. Keen Wunder.


Kurz nach elf machten wir uns dann auf den Weg, den Garmin für uns rausgesucht hatte. Nördliche Richtung, an Spandau vorbei, dann links bis Wustermark und wieder in den Süden zurück zu unserer Bleibe.


Hier gilt: Wer Pferde liebt, der schiebt

Der Weg war perfekt: schöne Strecke, schön geteert, schönes Tempo. Irgendwo hinter Falkensee kam dann die Überraschung. Der Radweg wurde zum Reitweg, statt Fahren war über knapp zwei Kilometer nur noch Schieben möglich.


Aber auch das geht irgendwann vorbei, kurz vor Brieselang hatte uns der Radweg wieder. Die Umgebung war ab dort weniger sehenswert, der Verkehr nahm zu, wir waren froh, als wir bei Bäcker Lenz waren, um die Verpflegung für morgen einzukaufen.


Die sehenswerteste Dauer-Baustelle des Landes


Ein Highlight gab's vorher doch noch, den Weg durch den Park Sanssouci, vorbei am Neuen Palais und weiter bis zum Charlottenhof. Der vor einem Haus der nahen Wohnsiedlung rauchende Hausmeister erzählte uns ein bisschen über die beeindruckende Anlage am Schillerplatz, die in den letzten Jahren schrittweise renoviert wurde und weiter wird.


Auch hier sieht man die Unterschiede der Backsteinfassade aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Und leider setzt sich die äußere Schönheit des Ensembles im Innern nicht fort. Gebaut wurde die Wohnsiedlung übrigens als „gated community“, und Zugang hatten nur die Bewohner der Häuser am damaligen Adolf-Hitler-Platz.


Helle Steine: Neubau, dunkle Steine: Altbau


Heute Abend gönnen wir uns etwas Heimatsound. Wir haben im Augustiner reserviert. Da wissen wir, welche Speisen (und vor allem Getränke) uns erwarten. Hoffentlich erklärt uns der Kellner nicht, wie Bayern bzw. München geht.


Heute in den Norden, morgen in den Westen

Sonntag, 29. Mai 2022

Deutschland ohne e – sorgenfrei in Potsdam (und frisch gewaschen)

Wenn Friedrich wüsste, wer ihm heutzutage alles durch den Garten läuft, ...

Geplant war: heute schön, morgen Regen. Leider kannte das Wetter die Vorhersage nicht.


So saßen wir nach dem Frühstück erstmal rum und warteten auf besseres Wetter (sic!). Da es nicht kam, organisierten wir die kommenden Tage. Ein paar der geplanten Etappen an der Küste und in Richtung Süden haben wir ja elegant übersprungen, am Dienstag geht es weiter über die Havel an die Elbe.


Bei näherer Betrachtung des Wetters, der Strecke, der nahenden Pfingstfeiertage (da sind ja wieder alle überall) und vergessener Termine zu Hause beschlossen wir, lieber nur noch bis Freitag auf der Tour zu bleiben und am Samstag heimzufahren.


Bleiben noch 350–400 Kilometer. Und der Regen blieb auch.


Am Schloss gibt's immer was zu tun: vorher

Am Schloss gibt's immer was zu tun: nachher


Irgendwann merkten auch wir, dass unsere Tagesplanung nicht einzuhalten war, also stellten wir radikal um. Heute Wäsche waschen, morgen noch ein paar Kilometer mit dem Rad in den Norden Potsdams.


Das mit der Wäsche war einfach, im Keller stehen zwei Maschinen und zwei Trockner. Der parallele Stadtbummel gestaltete sich schwieriger, denn das Wetter ignorierte weiter konsequent alle Vorhersagen.


Leicht angefeuchtet erreichten wir dann doch die Stadt, bummelten durch den Schlosspark und sprachen noch einen Vater aus Werder an, der seine beiden Sprösslinge auf einem sehenswerten Rad durch die Gegend transportierte. Der Park war trotz des Wetters gut besucht, wir machten unsere Runde und kamen kurz vor Ende der Trocknerzeit zurück.


Auf dem Weg zum und vom Abendessen sehen wir uns wieder


Essen gibt's gleich wieder bei den Holländern, mal sehen, ob die Küche hält, was die Karte verspricht.

Deutschland ohne e – kleine Programmänderung

Potsdamer Ansichten: so alt und immer noch intakt

Die Küstentour hat ein Ende, so schön es an vielen Stellen war, so schrecklich war es an vielen anderen.


Um zehn fahren wir zu Avis, um das gestern noch schnell gebuchte Auto abzuholen. Ganz neu, keine 500 Kilometer Laufleistung, aber deutlich kleiner als alle, die wir sonst bisher hatten. Irgendwie kriegen wir die Räder trotzdem rein, holen unser Gepäck im Hotel und fahren nochmal zum Bäcker zwecks Verpflegung.


Zurück am Auto bekomme ich noch einen Rostocker in meinem Alter zu fassen, der mir die gestern aufgekommene Frage beantworten kann, wie es denn vor der Wende in der heutigen Einkaufsmeile ausgesehen hatte. Ganz einfach: Es gab keine Einkaufsmeile. Die wurde erst nach 1990 neu entwickelt. Vorher waren im EG der Häuser Wohnungen und auch mal ein Laden, aber die Straße war eine Wohnstraße.


Das kurze Gespräch über Leute, Geschäfte, Sprachen und Putin versöhnt mich etwas mit dem heutigen Osten – es gibt tatsächlich noch Leute dort, mit denen man normal reden kann.


Potsdamer Ansichten 2: altes Tor so frisch wie die jüngere Schwester in Berlin

In Potsdam angekommen, kaufen wir das Nötige für die nächsten Tage ein, dann bringen wir das Gepäck ins Apartment und anschließend das Auto nach Babelsberg. Von dort geht es mit dem Rad einmal quer durch die Stadt.


Und weil am Ende doch immer mehr Zeit vergeht als gedacht, stellt sich schnell der Hunger ein, den man für ein ordentliches Abendessen braucht. Zu Fuß kommen wir in einer knappen halben Stunde ins Holländische Viertel, zu Fuß kommen wir ebenso schnell zurück.


In 20 Minuten vom Film zu Friedrich (oder umgekehrt)

Samstag, 28. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 16. Etappe: Wer den Wind schmäht, wird Sturm ernten

So fängt ein vielversprechender Tag an ...

Der Wind hat sich für uns gedreht. Wir fahren heute weiter von West nach Ost, er bläst mit. Leider sieht es schon morgens so aus, als würde er nicht nur Luft mitbringen.


Schon bei der Ausfahrt aus Wismar zeigt sich zudem, dass wir heute nicht ständig nach Osten, sondern immer wieder mal in eine der sonstigen Himmelsrichtungen fahren. Und das verändert natürlich auch den persönlichen Bezug zum Wind.


Die ersten Kilometer geht es nordwärts, der Wind kommt von links, und er meint es ernst. Da bringen auch die netten Gespräche mit westfälischen Rentnern und dem Hamburger Ehepaar auf dem Weg nach Warnemünde wenig Linderung. Letztere klären uns aber ganz freundlich über den wertvollen Zusatznutzen auf, der ihre Pedelecs von unseren Reisegefährten unterscheidet: ihre sind so schwer, dass der Wind sie nicht aus der Bahn wirft – egal, woher er weht.


Bis Rerik geht es weiter in nördlicher Richtung. Es regnet immer wieder mal. Es wird stürmisch, statt windisch. Es wird immer kälter. Kurz hinter Mechelsdorf finden wir fürs Mittagessen ein schönes Plätzchen, das alle genannten Nachteile auf Unangenehmste verbindet.


... und so geht er weiter

Zitternd geht's weiter in Richtung Kühlungsborn, das erstens hübsch anzuschauen ist (im Zentrum) und zweitens seinem Namen alle Ehre macht. Alle sind in dicken Jacken am Strand unterwegs, wir schieben weisungsgemäß die Räder entlang der Strandpromenade, vorbei an Imbissbuden, Riesenrad und Vergnügungseinrichtungen aller Art.


Hinter dem Riesenrad versteckt sich noch ein letzter, unrenovierter Prachtbau der Jahrhundertwende, beschmiert, verbarrikadiert, wie aus der neuen Zeit gefallen.


Irgendwann fallen wieder ein paar Tropfen, wir suchen am Ende der Ostseeallee Zuflucht unter einem Vordach des Einkaufszentrums. Die Gattin friert, ich gehe zum nahen Italiener und bitte um Espresso zum Mitnehmen. Das lässt er nicht zu.


Er könne mir natürlich einen Becher mitgeben, aber ich möge doch lieber die Gattin in seine Gelateria bringen, wo es wärmer sei und wir drinnen sitzen könnten. Ich gehe zurück, die Gattin willigt ein, wir schieben die Räder ins Trockne und setzen uns ins Warme. Kaum stehen die Affogati auf dem Tisch, bricht draußen ein Unwetter los: Hagelkörner, sich biegende Bäume und Wassermassen, die von den ausgefahrenen Markisen stürzen.


Es dauert, bis das Theater vorüber ist. Wir danken noch einmal für die freundliche Aufnahme und reisen entlang der geleerten Strandpromenade und über frisch durchweichte Waldwege weiter. Das Meer ist nach wie vor ein Naturschauspiel, man ist hin- und hergerissen zwischen nix wie weg und da will ich sein, um zuzuschauen.


Behind four walls of stone the rich man sleeps
it's time we put the flame torch to their keep


Wenig später erreichen wir im Schlepptau einer Vierergruppe (Vater mit drei sehr gut fahrenden Kindern) Heiligendamm, wo Frau Merkel vor 15 Jahren die politische Weltelite empfing. Wenn man das live sieht, macht man sich seine Gedanken ...


Wir verlassen die Radroute, nehmen den Schnellweg nach Bad Dobermann, auf dem wir uns derart verfahren, dass wir die Ersparnis gegenüber dem längeren Weg wieder verlieren. Entsprechend fertig und frustriert erreichen wir die Ausläufer Rostocks und suchen erfolglos eine Möglichkeit, um die verdreckten Räder zumindest grob zu reinigen.


Auf den letzten Metern schließt eine Gruppe von Cruisern zu uns auf – heiße, selbst geschweißte Räder, feine Mucke und scharfe Kutten. Die Drecknecks aus Hamburg sind auf dem Weg zu einem Treffen am Rostocker Hafen und zeigen sich uns gegenüber von ihrer freundlichsten Seite: „Ich bieg' da vorne gleich links ab, da könnt ihr einfach rechts an uns vorbeifahren.“


Das Rathaus ist oben, das Essen im Keller


Unser Hotel ist eine schwere Enttäuschung zu einem viel zu hohen Preis. Wir duschen usw. und machen uns dann auf den Weg in den Ratskeller, wo es heute ordentliches Essen und am nächsten Wochenende Rostocks legendäre Ü40-Party gibt. Wir wären gern dabei gewesen.


Unsere letzten Kilometer an der Ostsee

Donnerstag, 26. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 15. Etappe: Vatertag ist ein ganz besonderer Tag

Ick hev mol auf Priwall 'n Veermaster seen ...

Morgens grölen Betrunkene auf dem Platz vor dem Hotel in Lübeck, abends auf dem Platz vor dem Hotel in Wismar. Soweit man sieht, sind es nicht die gleichen Betrunkenen.


Spät raus aus Lübeck (Frühstück zu gut), nachdem der Weg klar war, ging es mit dem Wind im Rücken sehr gut voran. Irgendwo auf der Travemünder Allee überholt uns ein Rennrad, kurz vor der Herreninsel biegt der Fahrer ab, wir fragen uns, warum und wohin.


Die Antwort gibt's postwendend, denn auch wir kommen anders nicht weiter: Es geht zum Shuttle-Bus, der Radfahrer durch den neuen Tunnel (statt neuer Brücke) bringt. Auch wir werden auf- bzw. eingeladen, die Fahrt ist umsonst und dauert keine fünf Minuten. Von der Endhaltestelle fahren wir über Kücknitz nach Travemünde, wo uns schöne Straßenzüge mit alten, wieder jung gewordenen Häusern empfangen.


Vatertag ist der Tag der vielseitigen Transportgelegenheiten


Unser Ziel ist der Hafen, wo die Fähre zum Priwall ablegt. Der Kapitän fährt heute mal nicht direkt, sondern dreht zur Freude seiner Fahrgäste eine sehr schnelle 360-Grad-Runde auf dem Wasser und stößt ins Horn, um, wie uns von Mitreisenden erklärt wird, einen am Ufer liegenden Kreuzfahrer zu grüßen. Ansonsten geht es ihm hoffentlich gut.


Apropos Mitreisende: Da kommen tatsächlich Leute auf eine Fähre, die binnen drei Minuten von A nach B übersetzt, und versuchen innerhalb dieser Zeitspanne, sich vorzudrängeln. Armes Deutschland.


Der erste echte Strand, man sieht, woher heute der Wind weht


Der Hafen von Priwall wurde sichtlich renoviert. Neue Häuser, die verdächtig nach FeWo aussehen, breite Boulevards mit Geschäften und Lokalen, die verdächtig nach Nepp aussehen. Aber den Leuten gefällt es ...


Wir fahren natürlich erstmal wieder falsch, finden aber irgendwann doch den rechten Weg. Auf geschotterter Strecke geht es durchs Naturschutzgebiet entlang der Küste. Alle paar Kilometer stehen gut frequentierte Bänke und Buden mit Bier und Bratwurst. Garantiert keine Eintagsfliegen zum Vatertag.


Was ist nur aus der guten, alten Bahnsteigkarte geworden ...


Derart inspiriert, machen auch wir irgendwann Mittagspause. Wenig später erreichen wir Boltenhagen, wo an Christi Himmelfahrt ziemlich die Hölle los ist. Viele Menschen, viele Autos, viele Motorradgangs und viele FeWo. Es erinnert stark an Cuxhaven, wir brauchen schnell einen Affogato. Im Venezia werden wir fündig: sehr gute Qualität, auch beim Eis.


Mit dem Service klappt es nicht so gut, deshalb sind wir erst recht spät wieder auf der Straße. Infolge mangelnder Hotelangebote und einer überraschend hügeligen Küstenlandschaft (wir hatten heute die zweitmeisten Höhenmeter auf dem Zähler) ist aber schon klar, dass wir wohl nicht über Wismar hinaus fahren werden. Also ist keine Eile nötig.


Ein wirklich schöner Empfang in Wismar


Im Zentrum suchen wir uns ein Café und von dort ein Hotel. Das ist schwieriger als gedacht, denn die Stadt ist quasi ausgebucht. Nach mehreren erfolglosen Telefonaten müssen wir am Ende das teuerste Haus am Platz nehmen, es kostet knapp 100 Euro mehr als in Hamburg.


Das Zimmer ist ok, da Regen vorhergesagt wurde, buchen wir auch einen Tisch im Restaurant des Hauses. Es heißt „Joseph“ und gibt sich österreichisch. Das klappt allerdings nur bedingt – Achtung! Wir waren gerade in Hamburg bei einem sehr guten Österreicher – und liegt an vielen Unstimmigkeiten auf der Karte (Vogerlsalat im Mai??), kaum österreichischen Weinen, wenig geschultem Service und unserer insgesamt schwierigen Stimmung.


Diese vollgebauten, überlaufenen und teuren deutschen Küstenorte bzw. -abschnitte sind einfach nicht unser Ding ...


70 Jahre deutsche Teilung – unüberwindbar

Mittwoch, 25. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 14. Etappe: Von der Nordsee an die Ostsee (Transferetappe)

Dieser Weg war garantiert nicht das Ziel

Woran merkt man, dass man in einer Großstadt ist? Man braucht vom Zentrum eine Stunde bis zur Stadtgrenze.


Um Viertel vor acht aufgestanden. Frühstück wie gestern, packen, aufpacken, auschecken, losfahren. Garmin lotst uns auf gutem Weg zum Start der heutigen Strecke.


Es geht erstmal wieder über all die Straßen, die wir vorgestern und gestern bereits mehrfach besucht hatten, danach am Hauptbahnhof vorbei in Richtung Wandsbek und Rahlstedt. Die Radwege neben den großen Straßen sind mal besser, meist schlechter, vom weltstädtischen Flair des Zentrums ist hier wenig zu spüren; Supermärkte, Nagelstudios, Wettbüros, Physiotherapeuten, Spielhallen und Mietshäuser deuten auf alltägliches Leben hin.


Ohne e, dafür heute mit rw


Nach 16 Kilometern überqueren wir die Stadtgrenze und sind in Schleswig-Holstein. Im Rahmen einer Bio-Pause telefonieren wir kurz mit Ineke, anschließend kaufen wir bei der Braaker Mühle sehr gute Brötchen fürs Mittagessen.


Schon kurz darauf ereilt uns auf der Alten Landstraße das aus der nördlichen Ostzone hinlänglich bekannte Kopfsteinpflaster. Erst versuchen wir, im matschigen Rand zu fahren, dann weichen wir genervt auf einen Naturweg aus. Alles ist besser als die Steine.


Gegessen wird heute im Zentrum von Sandesneben, auf einer Bank an der Hauptstraße, gegenüber dem örtlichen Lidl. Auch Gemeindeverwaltung, Grundschule und Corona-Testzentrum sind nur ein paar Schritte entfernt.


Irgendwie nicht viel los auf einer Übergangsetappe ...


Lübsch ist hübsch


Nach etwas mehr als 20 Kilometern Kronsforder Landstraße, Kronsforder Hauptstraße und Kronsforder Allee erreichen wir die Stadt vom alten 50-D-Mark-Schein. Der Weg führt zunächst zum gut besuchten italienischen Eissalon. Es herrscht Selbstbedienung, aber für diesen Affogato stellt man sich gerne an – es ist der zweitbeste der Reise.


Unser Hotel liegt am nördlichen Zipfel der Altstadt, es ist recht frisch renoviert, die Mitarbeiter sind noch recht motiviert. Es folgt „the same procedure as every day“, dann ein Spaziergang durch die Altstadt und zum guten Schluss der ebenfalls übliche Restaurantbesuch. Den Tipp hatten wir von einer Dame mit Tochter und Enkel, schade, dass wir uns nicht nochmal dafür bedanken können.


Traditionelles Gericht, modern interpretiert


Das Hotel ist tatsächlich nur ein paar Schritte entfernt, da gehen wir gleich mal hin.


Links fließt es zur Nordsee, rechts zur Ostsee

Dienstag, 24. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 13. Etappe: „Bitte zwei Mal die kleine Hamburger Stadtrundfahrt.“

Nach dem Frühstück wird gespeichert

Großstadt hat was, diese ganz besonders.


Nach dem Frühstück – die beiden reich belegten, von gestern übriggebliebenen Brötchen, frischer Nescafé, Banane – ging es wieder hinaus ins windige Hamburg.


Mit dem Rad ist man irgendwie doch schneller in der Stadt unterwegs als zu Fuß. Allein ... die häufigen Foto-Pausen erschweren das Vorankommen.


Zweimal umrundet, jedes Mal wiedererkannt: die Binnenalster


Unermüdlich spulten wir mit wachsender Begeisterung unser touristisches Programm ab: Speicherstadt, Elbphilharmonie, Rathaus, Neuer Wall, Verlagshäuser, Binnenalster, Colonnaden, Mönckebergstraße. Auf dem Rathausmarkt rief ich nochmal bei Tschebull an und reservierte für heute Abend.


Leider war das Wetter heute nicht für eine Hafenrundfahrt geeignet, die holen wir beim nächsten Mal nach.


Fremde Länder gaben hiesigen Häusern ihre Namen: Chilehaus, Südseehaus ...


Während man da so rumfährt, überlegt man unwillkürlich, was Hamburg so anders macht als andere Großstädte. Die Stadt wirkt sehr wohlhabend, aber weder verspielt noch protzig. Stattdessen sehr seriös und souverän. Die Leute sind gut, aber unaufdringlich bzw. unaufgeregt angezogen. Wenig Schnickschnack, obwohl das Wort doch einen deutlich nordischen Bezug aufweist.


Hier wurde das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns entwickelt, hier kam (und kommt wohl immer noch) alles früher an als im Rest des Landes. Und das gilt nicht nur für all die Waren, die gerade den Hafen verstopfen, weil Lkw für den Weitertransport fehlen. Sondern auch für Kultur, Verlagswesen uvam.


... Rathaus


Nach einem kurzen Stop bei Edeka kamen wir bei leichtem Regen zurück ins Hotel. Der eine schrieb weiter am Blog, die andere legte sich hin und verarbeitete das Ges(ch)ehene. Gegen vier fanden beide wieder zusammen, duschten, tranken löslichen Kaffee und machten sich fein fürs Abendessen.


Um fünf (nach dem Regen) gingen wir wieder in die Stadt, liefen kreuz und quer zwischen den einschlägigen Plätzen und Straßen umher und pünktlich im Levantehaus ein. Die Begrüßung war ok, der Tisch war sehr schön (mit Blick auf die Mö).


Der Restaurantleiter / Sommelier kam aus Italien, Golf von Amalfi, und hieß Angelo. Er taute mit jedem Gang und jedem von ihm dargebotenen Wein mehr auf und ließ uns an seiner Ehe, seiner Zeit im Alto Adige und seinen Abenteuern mit chinesischen Gästen teilhaben.


Das Levantehaus, bitte beachten Sie den Elefanten im Raum


Vor allem aber sorgte er dafür, dass sein Wein perfekt mit unserem Essen harmonierte. Grüner Veltliner zum Carpaccio vom Hirsch, Sauvignon Blanc aus der Steiermark zu Jakobsmuscheln mit wildem Brokkoli auf Bärlauch, Chardonnay aus Rheinhessen zum Kabeljau und ein ausgezeichneter australischer Shiraz zum gratinierten Rinderfilet.


Stiegelmars Trockenbeerenauslese von 2018 war dann der letzte Schluck zu marinierten Erdbeeren mit Holunderblüten-Manderlküchlein. Und die Rechnung fiel – in Relation zur erbrachten Leistung – erfreulich günstig aus.


So gingen wir beglückt-beschwingt zurück zum Hotel. Morgen machen wir dann wieder, wozu wir eigentlich hier sind: fahren.


Speicherstadt, Rathaus, Binnenalster, Mönckebergstraße – das volle Programm