Die Festung Bonifacio |
Zwecks weiterer Planung der Reise holt die Gattin das alte Sardinien-Urlaubs-Buch aus dem Auto. Ich spreche inzwischen mit unserer Lieblingsrezeptionistin, die mir erzählt, dass ihr Job hier mit Ende der Saison endet.
Sie hat zwar eigene Kunden (was immer das heißen mag), wird aber ab Oktober arbeitslos sein. Im Winter ist auf Korsika und speziell an der Küste kaum etwas los: weniger Flüge, weniger Fähren, weniger Gäste. Das ist sicher schlecht für die lokale Wirtschaft, aber eine Chance für die Natur, sich von dem mehrmonatigen Überfall zu erholen.
Der nette Hund von gestern hat heute keine Lust auf Frühstück. Müssen wir halt andere beim Leben beobachten.
Zum Beispiel die junge Frau in ihren späten Zwanzigern, die in Shorts und sichtlich überdimensioniertem BH am Tisch sitzt. Zwischen oberem und unterem Kleidungsstück wölbt sich eine ansehnliche Rolle hervor, die Oberschenkel sprechen für einen Besuch bei Frau Professor Hach.
Spät kommt noch ein älteres Ehepaar, das hinter uns Platz nimmt. Beide gehen zum Buffet, die Frau kommt zuerst zurück und fällt mir durch ihren weit vorgebeugten Körper und einen unrunden Gang auf. Kaum aufgefallen, ist sie auch schon hingefallen. Drei Männer (inkl. mir) eilen ihr zu Hilfe, es ist nichts passiert. Als sie längst wieder sitzt, kommt auch ihr Mann vom Buffet zurück und fragt: „Tu es tombée?“
Der Abschied an der Rezeption ist sehr freundlich. Kurz vor elf fahren wir los und legen noch einen Stop bei Carrefour ein. Der Weg nach Bonifacio dauert laut Google etwa 40 Minuten, unterwegs überholen wir einen wirklich schwarz gebrannten Reiseradler und sehen auf dem weiteren Weg sowohl Einzelreisende als auch Paare, mit denen wir nichgt tauschen möchten.
Die Schilder entlang der T10 lehren uns, dass Korsisch sehr einfach ist: Man nehme Italienisch, verwende u statt o und z statt c. So wird aus Bonifacio Bunifaziu. Fortgeschrittene tauschen zudem ll gegen dd und machen aus Pinarello Pinareddu.
Die Qualen des Bartholomäus |
In Bonifa... (nach Belieben zu ergänzen) fahren wir weit nach oben, stellen den Wagen auf Parkplatz 5 ab und wandern in die Stadt. Zur Ghjesgia San Dumenicu (was sie hier alles verändert haben, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen) finden wir auf TripAdvisor zwei „Rezensionen“: „... war jetzt nichts besonderes und nicht unbedingt sehenswert. Sehr klein und keine Besonderheiten. Eher heruntergekommen.“ und „ Kirche halt, ganz ok, aber kein Highlight.“
Dieses Banausen-Pack!
Tatsächlich findet sich gleich links des Kirchenportals ein beeindruckendes Figurenensemble des Martyriums des Heiligen Bartholomäus. Weder die von mir befragten Holländer noch die Franzosen wussten dazu etwas zu sagen, ich muss Jimmy Wales und seine Jünger befragen.
Vor der Kirche hat ein kleines Musik-Ensemble eine Stellprobe, wahrscheinlich für den Abend. Weiter geht es durch die Altstadt, vorbei an Souvenirläden umweht uns starker Weihrauchgeruch. In einem Café mittendrin gilt für die weibliche Bedienung: Sie haben sich heute aber hübsch ausgezogen.
Viele finden es interessant, ... |
Bonifacio ist ein bisschen so wie Mont St. Michel, die Drosselgasse oder Rocamadour – Menschenmassen ohne Ende. Wir laufen ein bisschen durch, kaufen am Ende leckeres Eis und bewegen uns zurück zum Auto.
... andere fürn Arsch |
Anschließend fahren wir ostwärts. bis nichts mehr geht, drehen dort um und machen bei Super U eine Klo- und Café-Pause. Zurück in Bonifacio fahren wir zum Anleger, stellen uns in die Reihe der Wartenden und harren, dass man uns auf die Fähre lässt. Während wir stehen, fahren mehrere große Yachten in den Hafen ein, unter anderem ein zweistöckiger Katamaran mit riesigem Segel und einer Crew von sechs Personen, die anlegen und auch erst mal warten.
Da geht's lang |
Es vergeht einige Zeit und anstatt, dass der Herrscher das Boot verlässt, fährt ein dunkler Mercedes der M-Klasse vor, dem etwa sechs bis acht ältere Menschen entsteigen. Aus dem Fond entlädt deren Personal Assistent das Gepäck. „Succession“-Fans fühlen sich gleich an die erste Folge erinnert, meine Frau seufzt: „Und die müssen sich noch nicht mal um ihr Gepäck kümmern!“
Um kurz nach 16 Uhr dürfen wir von Punkt A auf Punkt B vorrücken. Zwei Leute von der Fähre kümmern sich um uns. Der Erste kontrolliert die Personalausweise und klebt einen weißen Sticker auf die Windschutzscheibe. Die Zweite checkt den Kofferraum und klebt einen roten Kreis auf den weißen Zettel.
Kurz vor der Einfahrt auf die Fähre müssen alle außer dem jeweiligen Fahrer aussteigen, auch die Dame im cremefarbenen Babydoll. Sie holt den dicken Pudel, der partout nicht aus dem Auto will, hinten raus und geht dann mit dem widerstrebenden Hund auf die Fähre.
Ich darf – genau wie meine Frau vor 40 Jahren in Genova – rückwärts auf die Fähre einfahren. Das klappt besser als erwartet, kurz darauf treffen wir uns oben und schauen der Fähre beim Ablegen zu.
Kleine Drehung, rückwärts einparken ... |
... und vorwärts rausfahren |
Da oben sind sie alle: die sechs überwiegend kahl geschorenen Italo-Machos, der sehnige Backpacker im sehr fortgeschrittenen Alter, der uns schon im Hafen wegen seiner Aura und seines Rades aufgefallen war. Und die „Polster & Pohl“-Reisegruppe aus Dresden und Leipzig, die heute den fakultativen Korsika-Ausflug für 89,00 Euro pP absolviert hat. Ihre Reisebegleiterin ist ein Wonneproppen.
Auf der nächsten Insel angekommen, fahren wir zu unserem heutigen Hotel, schalten von schlechtem Französisch auf noch schlechteres Italienisch um und klären das weitere Vorgehen.
Dazu gehört z.B. das Parken. Auf dem hoteleigenen Parcheggio werden 20 Euro fällig. Das ist laut der Rezeption ein Sonderpreis, denn die Parkplätze in der Stadt kosten einen Euro pro Stunde. Unseren Hinweis, dass wir ja keine 24 Stunden hier sein werden, ignoriert sie lächelnd.
Also fahre ich das Auto raus, auf der anderen Seite der Straße sind die Parkplätze blau markiert, vorne am Eck steht der Parkscheinautomat. Problem: Es wird per Kennzeichen und Angabe der gewünschten Parkdauer abgerechnet und con carta bezahlt. Das klappt bei mir nicht.
Hotel mit Meer |
Ich drücke hier, tippe dort und stehe etwas blöd vor dem Kasten rum. Da holt der junge Italiener sein Auto ab und bietet mir seinen Parkschein an. Ich erkläre ihm, dass ich mich freue, aber einen Platz bis morgen um elf benötige.
Zuerst will er mir erklären, wie ich mit meinem Telefon bezahle. Das hat meine Frau auch lange probiert, bis sie endlich verstanden hat, dass mein Telefon anders arbeitet als ihres. Der junge Mann und ich haben nicht so viel Zeit. Er tippt, ich nicke. Der Automat sagt: „Zahlst du!“ Ich zahle. Der Parkschein kommt.
Der Italiener steigt in sein Auto und sagt: „Ti ho salvato la tua vita.“ Ich sage: „Grazie, Salvatore.“
Danach geht's an die Spiaggia, unter die Dusche und raus auf den Ballermann von Santa Teresa Gallura. Der Weg vom Hotel bergauf ist beschwerlicher als gedacht und das vermeintliche Restaurant entpuppt sich als Sushi-Disco, was immer das sein mag.
Nicht weit entfernt finden wir bei Spano einen freien Tisch und tauchen ein ins Saturday Nightlife eines sehr internationalen Publikums. Francesco bringt zwei Campari Spritz und das obligatorische pane. Als Vorpeise teilen wir uns (condivivere, nicht parteggiare!) Tagliatella di seppia, anschließend isst jede/r für sich Pulicioni al pomodoro e basilico bzw. Tagliatelle al sugo di ginghiale, begleitet von einem Rosso sardo aus der Gegend um Sassari.
Madame verdreht nach dem Probieren die Augen und sagt: „Endlich wieder richtiger Wein.“
Der Abend ist in bester Stimmung |
Zum guten Schluss gibt's einmal Panna cotta und ein Tagliere di dolci sardi. Und zum Caffè spendiert uns Francesco noch zwei Mirti sardi.
Die Gattin erlebt den Abend völlig entrückt, irgendwie scheinen wir tatsächlich im Süden angekommen zu sein.