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Montag, 16. Juni 2025

Frühling 2025 – 15. Juni: Villasimius

Frühstück in pflegeleichtem Ambiente

Das dicke, arabisch-türkisch zu verortende Ehepaar mit dem dicken, lauten Kind gibt vor Ende unseres Frühstücks noch eine kleine Abschiedsvorstellung. Der Kellner Marco spricht auch heute lieber Deutsch mit uns. Allein die muntere Bäckerin ist ein Sonnenschein am Sonntag.

Der Rezeptionist, der seit gestern Nachmittag durchgehend seinen Job macht, verrät uns, dass die überwiegende Zahl der anderen Gäste – Deutsche, Franzosen, Italiener und Schweizer – über Reiseveranstalter kommen, bei denen sie Rundreisen zum Selberfahren gebucht haben.

Trifft sich gut, so machen wir's auch.

Unsere kleine Ölfabrik

Nach dem Packen geht es wieder raus auf die SS195bis, der wir bis kurz vor Frutti d'Oro folgen. Unterwegs sehen wir rechts eine riesige Raffinerie am Meer, die so gar nicht in das Bild vom schönen Sommerurlaub passen will.

Am Ende fahren wir auf der SS195 gleich wieder zurück. Nicht den ganzen Weg, aber zumindest bis zur Villa d'Orri – vielleicht kann man die sonntags besuchen.

Leider kann man das nicht, alle Zufahrten sind geschlossen. Nur für einen kleinen Einblick in die Produktion ihres feinen Olivenöls hat die Firma ein Tor offen gelassen. Außerdem ist der Sprit in dieser Gegend billiger als anderswo, was wir zum Auffüllen des Tanks nutzen.

Cagliari von seiner schöneren Seite

Cagliari erreichen wir über die Fortsetzung der SS195, und die führt praktisch mitten übers Meer. Auf der linken Seite der Straße steht das Meerwasser und füttert die nahe Saline Conti Vecchi, die wir besuchen könnten, wenn nicht Sonntag wäre. Auf der rechten Seite grenzt die Straße direkt ans Meer. Hier stehen viele Angler, die dem Wasser ihren Sonntagsbraten abringen möchten.

Die überwiegende Zahl der Hauptstädter hat bei 34,5 Grad aber ein anderes Interesse: Strandleben.

Davon ist allerdings noch nichts zu sehen oder zu ahnen, als wir ins Zentrum einfahren. Entlang des Hafens reihen sich riesige alte Paläste, einer schöner als der andere und davor eine Straße in einem derart miserablen Zustand, dass sie quasi eine automatische Geschwindigkeitsbegrenzung auf allerhöchstens 30 km/h beinhaltet.

Ein Strand fürs Leben

Nachdem wir das Hafen- und Stadtgebiet hinter uns gebracht haben, stehen plötzlich überall rechts der Straße parkende Autos, und dazwischen sind Menschen mit Badeutensilien unterwegs. Dann geht es nach links in Richtung Via Lungomare del Golfo und plötzlich sprießen rechts des Weges die Ombrelloni aus dem Sandstrand.

Überall liegen Decken, stehen Liegen, Stühle und Tische im Sand. Menschenmassen blockieren den gesamten Süden der Stadt und suchen ihr Plätzchen direkt am Meer. Mädels mit String-Tangas stehen am Straßenrand und strecken ihre nackten Hintern in die Landschaft.

Sommer in Cagliari mit allem, was dazugehört. Auf einer Strecke von rund acht Kilometern.

Die zweite Bucht ist unsere

Unser Ziel erreichen wir nachdem wir zuerst falsch abbiegen und dann auf neuer Strecke insgesamt etwa sechs Kilometer durch mehrere aufeinanderfolgende Tunnel fahren. Wir sind viel zu früh dran, denn unser Apartment ist erst ab halb sechs verfügbar. Die Rezeptionistin wirkt deutlich überfordert. Sie ist sehr schmal gebaut, ihre Hose ist ihr trotzdem viel zu weit. Das sieht schon ein bisschen ungesund aus.

Wir ziehen uns erstmal um und legen uns schön an den Strand. Die Gattin weint vor Glück, und eine tiefe Wunde unserer Beziehung ist endgültig verheilt. Im Jahr 1984, als wir zum ersten Mal hier waren, stemmte ich mich erfolgreich dagegen, dass sie am Morgen der Abfahrt nochmal ins Meer ging, denn dann hätten die nassen Badesachen im Auto gelegen, was ich unbedingt vermeiden wollte.

In den nächsten vier Tagen wird sie die letzten 40 Jahre im Meer nachholen.

Nahezu unverändert, bis auf die Höhe der Bäume

Bevor wir dazu kommen, unsere Vergangenheit zu bewältigen, erfahren wir vom Bagnino, dass es auch im Paradies klare Hierarchien gibt: Unser Apartment zählt zur Qualitätsstufe 2 und berechtigt uns damit, zwei Liegen und einen Sonnenschirm in bzw. ab la seconda fila zu belegen.

Ordnung muss sein. Sogar in Italien.

Kaum haben wir den Platz gefunden, der uns zusteht, führt eine fünfköpfige deutsche Familie in nächster Nähe eine neue Fassung des Eric-Rohmer-Films „Pauline am Strand“ auf. Die Darbietung weicht deutlich vom Original ab.

Pauline ist etwa zwei Jahre alt, Tochter, Enkel und Star der Aufführung. Sie ist nackt, trägt weder Hut noch Mütze und rennt ständig in der Sonne rum. Die sie begleitenden  Erwachsenen wissen nicht, was sie tun und sagen ständig Sätze wie „Was macht denn der Papa da?“ oder „Wo holt denn der Opa das Wasser?“

Vor allem aber lassen sie das arme Kind nicht für fünf Sekunden in Ruhe.

Pauline hat eine sehr einfache Art, damit umzugehen: Wenn es ihr zu viel wird, schreit sie. Keine Vorwarnung, immer existenziell. Und sobald es ihr besser geht, hört sie einfach auf. Ohne Nachhall, ohne Bedarf an Trost oder Nähe.

Hörst du es vom Strand her schrei'n, wird es wohl Pauline sein.

Meerchenhaft

Nach dem Strand setzen wir uns noch auf einen Caffè mit Duolingo in die Nähe der Pool-BarZwei sehr massive Tätowierte gehen vorbei, ein kleiner, älterer Herr geht freundlich lächelnd hinter ihnen her. Man könnte meinen, auch die Mafia entspannt in Villasimius.

Nach dem Caffè meldet sich die Rezeption – unser Apartment ist bezugsfertig. Wir holen unsere Sachen, duschen, ruhen kurz und machen uns auf zum Essen. Nach Selezioni di antipasti di mare e und Varietà di verdure vom Buffet wählen wir Tortellini di patate viola e gamberini und Lorighittas al ragù di pecora. Danach zwei Mal Pescato del giorno und als Dessert Cannoli bzw. Jogurt e fragole.

Alles ist überzeugender als wir es von vor 41 Jahren in Erinnerung haben.

Frühling 2025 – 14. Juni: Santa Margherita di Pula

Feiern von früh ...

Das Olivenöl von gestern Abend war hervorragend und wird nicht weit von hier produziert. Wir lesen beim Frühstück über den Hersteller und die mit der Familie verbundene Villa d'Orri, schon steht schon eine Frau, die man sich als ehemalige Bewohnerin vorstellen kann, am Buffet und befehligt die Mitarbeiter.

Eine der so Befehligten ist für die Kuchen und das sonstige Backwerk verantwortlich. Sie hat heute eine Torta salata piselli e prosciutto für uns gezaubert. Weil ich sie so freundlich bitte, verrät sie mir das Rezept, meine Frau darf es demnächst zu Hause nachbacken.

Um elf machen wir uns auf nach Pula, wir wollen in den örtlichen Supermärkten nach dem Öl von gestern suchen. Das Auto brüllt vor Hitze, die Gattin lässt den Motor an und meint: „Elf Uhr, 30 Grad – nicht schlecht.“

Wein, der die Insel wahrscheinlich nie verlässt

Die Straße(n) nach und in Pula sind in etwa dem Zustand, in dem neuerdings die deutsche Infrastruktur beschrieben wird: 25 Jahre Investitionsstau. Wenn man aber die deutschen mit den hiesigen Verkehrswegen vergleicht, dann staut es in Italien seit gefühlt 50 Jahren. Oder es gibt in Deutschland keinen Investitionsbedarf.

Die durchschnittliche Strada provinciale heißt nicht nur so, sie ist es auch. Und ihre große Schwester, die Strada statale, würde ohne aufzufallen auch als Strada fatale durchgehen.

Wein, der Buona notte heißt

In Sachen Öl werden wir fündig. Drei Liter in drei kleinen Kanistern à 13 Euro ist ein guter Preis. So fahren wir zurück zum Hotel, arbeiten am Blog, an den Fotos und an weiteren wichtigen Dingen. Das machen wir später nochmal, aber erst wird gegessen, geschwommen und geruht.

... bis spät

Zum Abendessen werden wir wieder beim Sarden erwartet. Alle sind freundlich, das Essen so gut wie gestern, aber heute wird alles geteilt: zuerst die Piccola degustazione di formaggi con le nostre composte (geräucherter und gereifter Pecorino, Pecorino-Crème und ein sehr guter Blauschimmel), Fregula casareccia, ein Graupen-Risotto, und die Coppa di Maiale in doppia cotura, zwei unterschiedliche, jeweils bei Niedrigtemperatur gegarte Stücke vom Schwein.

Für Dolci ist leider wieder kein Platz. Morgen verlassen wir den südlichsten Punkt unserer Reisen. Ab sofort geht es (langsam) wieder gen Norden.

Frühling 2025 – 13. Juni: Santa Margherita di Pula

Typisch deutsch: nach Italien fahren, um zu baden

Wir frühstücken heute lieber drinnen, im karg möblierten Buffet-Zimmer.

Draußen regieren fünf rauchende Italiener. Die direkten Nachfahren der Erfinder des Machismo sitzen in lautstarker Unterhaltung um eine imaginäre Piazza, haben die Beine gleichzeitig weit gespreizt und ausgestreckt und den schönen Innenhof auf diese Weise vollständig unter ihre Kontrolle gebracht.

Wahrscheinlich diskutieren sie das Für und Wider des Genderns.

Auf dem Weg an den südlichsten Punkt unserer Reise fahren wir nochmal durch die Costa Verde. Einige der Orte haben wir gestern schon gesehen, es geht viel rauf und runter, es gibt viele deutsche Camper auf den schmalen Straßen. Einer hat mehr Ähnlichkeit mit einem Linienbus als mit einem Wohnmobil.

Ab Guspini fahren wir in die Berge, und in der Folge macht das Gebiet seinem Namen nochmal richtig Ehre. Grün in unzähligen Tönen und Schattierungen. Über Arbus, Fluminimaggiore bis nach Iglesias, einer überraschend großen Stadt am südlichen Ende der Costa Verde. Unsere Mittagspause machen wir in Fluminimaggiore. Gennaro hat seine neue Bar erst vor zwei Tagen aufgemacht, die Mädels sind noch motiviert.

Der Ort feiert heute das Fest von San Antonio, alles ist geschmückt, und viele Männer in alten sardischen Trachten sind auf den Straßen unterwegs – toll, was sich diese Sarden alles für uns einfallen lassen.

Fluminimaggiore hat sich für San Antonio geschmückt

Was uns bei Gennaro wieder negativ auffällt, ist, dass überall die mehr oder weniger gleiche Scheißmusik läuft. Die einen düdeln irgendwelche Spotify-Playlists mit bekannten Pop-Hits, die von unbekannten, aber geschäftstüchtigen Produzenten in die Neuzeit remixed werden. Die anderen wählen für ihre Kunden und sich das Seichteste von Kenny G. bis David Sanborn.

Die italienische Bar auf ihrem Weg in die Moderne

Nicht weit hinter Fluminimaggiore warten dann noch zwei interessante Sehenswürdigkeiten auf uns: die Miniera di Su Zurfuru und die Grotta di Su Mannau – beide geschlossen.

Touristische Attraktion, für Touristen geschlossen

Sardinien für Kurventechniker

In Iglesias decken wir uns in einem etwas schrägen Supermarkt noch mit ordentlich Wasser ein, dann geht es auf der SP85 weiter. Zuerst ein Stück durchs Industriegebiet, dann durch die Dolomite Sarde, ein weitläufiges Wandergebiet, dessen Kurvenstraßen denen der Costa Verde in nichts nachstehen.

Hinter Tratalias kommen wir wieder auf die SS195 und fahren vorbei an mehreren aufgelassenen Case cantoniere, den alten Straßenbau-Meistereien, die im letzten Jahrhundert von der ANAS gebaut wurden und heute zum Teil privat genutzt, in der Mehrzahl aber dem Verfall preisgegeben sind.

Für den Unterhalt der Straßen gebaut, heute nicht mehr unterhalten

Zwischen Sant'Anna Arrest und Teulada fahren wir entlang eines riesigen Armeegebietes –  kilometerweit eingezäunt und mit einem Stacheldraht-Y obendrauf – und kommen für heute zum letzten Mal durch äußerst bergige Landschaft, die so schön wie anspruchsvoll zu fahren ist.

Unser Hotel liegt eher an der Straße als am Meer. Wir haben es gebucht, weil wir in unserer nächsten Station erst ab Sonntag ein Zimmer kriegen konnten. Nun müssen wir mit einer etwas zweifelhaften Auslegung von „Urlaubshotel“ leben, aber das schaffen wir schon.

Das Zimmer ist in Ordnung, die Leute geben sich Mühe – auch, wenn sie lieber ihr schlechtes Englisch als unser schlechtes Italienisch mit uns sprechen würden.

Komm', wir gehen zum Sarden: Culurgionis artigianali tradizionali

Das ehemalige Hotel-Restaurant ist Geschichte, wir müssen also zehn Kilometer nach Pula fahren, um den täglichen Kalorienverlust auszugleichen. Die Gattin hat einen Hort sardischer Küche entdeckt: Sa Domu Sarda.

Wir bekommen ohne Reservierung einen Tisch, das Ambiente ist gleichzeitig rustikal (einfache Holztische, rot-weiß karierte Tischdecken unten) und fein (ordentliches Besteck, Stoffservietten, Stofftischdecken oben). Der Service ist ausgezeichnet, das Essen und der Wein auch.

Vor allem gibt es Sachen, die es sonst bisher noch nirgendwo gab. Wir teilen uns eine Sfoglia di carasau con caponata e ricotta fumata, anschließend nimmt er Malloreddus a sa campidanesa, sie die oben abgebildete Leckerei, und als Hauptgang gibt's Il maiale alla cacciatora  und Filetto di manzo.

Am Ende packt uns der Kellner einen Teil des Filetto ein, wir reservieren für morgen gleich nochmal und machen, dass wir ins Bett kommen.