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Sonntag, 25. Mai 2025

Frühling 2025 – 24. Mai: Erbalunga

Das erste Etappenziel in Sichtweite

Im Hafen ist eine Menge los, wir kommen aber gut raus. Auf der schmalen und vom Verkehr schwerst gezeichneten D80 fahren wir durch ein paar geschäftige Städtchen hinauf nach Erbalunga zu unserem Hotel.

So früh, wie wir da sind, ist das Zimmer natürlich noch nicht bezugsfertig, aber wir können uns gerne fürs Radfahren umziehen, und die Rezeption wird sich melden, wenn das Zimmer fertig ist. Vorher möchten wir aber das Frühstück auf der Fähre kompensieren und setzen uns in den sonnigen Innenhof für einen zweiten Versuch.


Insgesamt ist das eine gute Idee, denn das Angebot ist reichhaltig und von sehr guter Qualität. Außerdem ist eine der Kellnerinnen deutscher Provenienz und lebt seit 33 Jahren auf Korsika. Sie freut sich nach eigener Aussage immer, wenn sie mal wieder Deutsch sprechen kann.


Wir freuen uns nicht nur über das muntere Treiben rund ums Frühstück, sondern z.B. auch über die Zimmermädchen-Brigade, die gegen neun Uhr ins Büro läuft, die Einsatzplanung abholt und von dort mit fröhlicher Anmutung zu den Zimmern strebt. Man denkt unwillkürlich ans „Weiße Rössl am Wolfgangsee“.


Endlich wieder ordentlich untergebracht


Als wir uns um halb elf endlich zum Umziehen aufraffen, klingelt das Telefon, und wir dürfen auf unser Zimmer. Was wir sehen, gefällt uns, aber wir halten uns nicht lange damit auf, denn wir wollen ja fahren.


Wir entscheiden uns für die Uferstraße, die wir bis zu ihrem Ende fahren und dann entweder umdrehen oder noch ein paar hundert Höhenmeter hochfahren können. Das Fahren klappt prima, die Straße geht immer mal wieder ein bisschen rauf und runter, wird aber mit jedem Kilometer leerer. Das ist auch gut so, denn bei den vielen entgegenkommenden und grüßenden Rennradfahrern kriegt man kaum mehr die Hand an den Lenker.


Unterwegs zieht die Gattin am Plage de Misincu die Radschuhe aus und trippelt beglückt ins kühle Meer. Ein paar Meter weiter liegen die Dörrpflaumen von morgen: zwei blonde Grazien, von denen eine sogar ihre Haare mit Sonnenmilch einreibt, bevor sie sie zum Zopf verdreht.


Erste Ausfahrt – nordwärts, bis die Uferstraße aufhört

Am Ende der Straße erreichen wir Macinaggio, von wo es entweder nach Westen bergauf oder nach Süden zurück geht. Wir entscheiden uns für den Rückweg, halten unterwegs noch kurz beim Honighändler, der uns den bitteren Honig des korsischen Erdbeerbaums für 13 Euro anbietet. Na, mal sehen, ob's den nicht günstiger gibt.

Mit jedem Kilometer mehr weniger Verkehrsteilnehmer

Gegen halb zwei sind wir zurück im Hotel, hängen die Räder in der Fahrradgarage an große Deckenhaken und stöpseln sie an die Ladegeräte. Dabei passiert, was vor einigen Wochen schon mal passierte und einen erneuten Besuch bei Decathlon erforderlich machte: Mein Rad verweigert die Aufnahme von Strom.

Ich bin absolutely not amused und rufe Felix Brahmer, den Filialleiter von Decathlon Würzburg, an, um ihn zu informieren. Ich erkläre ihm, was passiert ist, was Decathlon beim letzten Mal alles falsch gemacht hat und was ich nach unserer Rückkehr erwarte. Er nimmt es hin und verspricht, das Ganze in der sechsköpfigen Chatgruppe zu behandeln, die Decathlon wegen unserer Räder und den mit ihnen verbundenen Problemen eingerichtet hat.

Die Gattin meint hinterher, ich sei viel zu milde gewesen.

Pflanzen, Bauten, Menschen, Meer – alles fremd

Anschließend tauschen wir die Rad- gegen Badebekleidung und gehen erstmal in den Hotelpool. Danach duschen wir, essen vom Mitgebrachten zu mittag und legen uns anschließend hin. Nach einem ereignisreichen Neun-Stunden-Tag haben wir das verdient.

Gegen sechs schaue ich nochmal nach den Rädern. Das eine ist inzwischen frisch aufgeladen, das andere (= meins) nimmt die elektrische Nahrung jetzt wieder an. Für morgen keimt Hoffnung auf.

Früher war der Korse wehrhafter als heute

Um halb acht gehen wir zum Essen. Das Restaurant von heute Abend ist der Frühstücksraum von heute Morgen, nur der Service ist neu besetzt.

Unsere erste Kontaktperson ist eine junge Frau aus Asien, die mindestens so schlecht wie wir Französisch spricht und beruflich nicht unbedingt zu den Meisterinnen ihres Fachs zählt. Wenigstens hat die Küche zwei Gault-Millau-Mützen, das heißt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Der korsische Apéritif ist prima, der Wein entpuppt sich als schwierig. Der nationale Stolz des korsischen Hotels verbietet es allerdings, Weine aus anderen Teilen der Welt auch nur anzubieten. Wir versuchen es glasweise.

Wenigstens aus der Küche kommt nur Gutes. Die Gattin nimmt anfangs einen sehr guten Salade de lentilles vertes, der Gatte wählt Langoustines rôties du Cap Corse, fünf kleine Schwänze, die in Fischsuppe gereicht werden. Insgesamt eine überschaubare Portion bei ambitioniertem Preis. Es folgen Ballotine de poulet noir fermier und Sauté de veau corse, beides sehr feine Gerichte, die mit einem guten Rotwein wahrscheinlich noch besser gewesen wären. Allein, es hat nicht sollen sein.

Die junge Dame zieht sich mehr und mehr von uns zurück. Statt ihrer kommen jetzt zwei muntere junge Männer, die ihren Job um ein Vielfaches besser machen. Mal sehen, wohin es uns morgen verschlägt. Sowohl mit dem Rad als auch zum Essen.

In unserem Zimmer ruft uns später beharrlich die Zwergohreule. Laut Wikipedia „ist der Gesang der Zwergohreule unverwechselbar. Er ist ein peilsenderartiges, fast immer einsilbiges, etwas nasales und nicht besonders lautes „Djü“ in einer Tonhöhe von etwa 1400 Hz, das in Abständen von 2 bis 3,5 Sekunden oft stundenlang wiederholt wird.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer: gute Nacht.

Da sollten wir nochmal hinfahren, dann aber mit bergauf

Frühling 2025 – 23./24. Mai, Zwischenspiel: la nuit méditerranée

Gleich sind wir in Sicherheit

Wo waren wir stehengeblieben? Vor dem Tor zur Hölle! Und dann fahren wir rein.

Das Einparken regeln die Profis im Bauch des Ungeheuers sehr professionell, wir haben kleine Täschchen mit Wäsche und Essen gepackt, die wir bloß greifen und mitnehmen müssen. Dann geht es mit dem Fahrstuhl von Ebene drei auf Ebene sechs, wo uns ein weniger freundlicher Steward die Kabinentür öffnet und verschwindet.

Cabin with a view

Nach den upgrades der letzten Tage haben wir das Gefühl, diesmal deutlich zu wenig für unser Geld zu bekommen. Aber was soll's – die Welt ist halt nicht gerecht. Stellen wir doch erstmal alles hin und gehen nach oben, wo wir die Ausfahrt live erleben können.

Aus der Kabine treten wir zurück in den langen Gang, der links und rechts von anderen Kabinen gesäumt wird. Die rechts haben auch ein Fenster, die links nicht. Dafür stehen links öfter mal zwei Doppelstock-Bettchen in einem Raum.

Vom Gang geht es nach links in das Treppenhaus, wo wir mit dem Aufzug angekommen waren. Unten gibt es Wellness und Spa, oben ein Restaurant und die Lido Beach Bar. Überall lagern Menschen in Ecken auf Isomatten, manche haben Schlafsitze gebucht und sitzen jetzt Seit' an Seit' in dunklen Innenräumen.

Wir folgen den Treppen nach oben, bis wir in Freie treten können. Alle anderen sind auch schon da. Und die Lido Beach Bar ist nicht weit.

Blick zurück auf die Zeit, als wir noch festen Boden unter den Füßen hatten

Madame macht Fotos vom Land, Fotos vom Meer. Ich sehe überall Menschen, denen nichts peinlich ist. Von meiner Frau verlassen, reihe ich mich in die Schlange ein, die in die Bar führt. Ich will irgendwie an zwei Plastikbecher kommen, weil wir den Wein zu unserem mitgebrachten Essen nicht aus der Flasche trinken möchten.

Von drinnen dröhnt schreckliche Musik, im Innenraum angekommen, sehe ich eine ältere Dame an einem Tisch mehr hängen als sitzen. Sie ist grau im Gesicht und fand die Musik wohl auch zum Kotzen. Um sie herum stehen Angehörige, unter ihr liegt ein Mageninhalt in mundgerechten Stücken. Später wird ein gelb-blau bekleidetes Team des Fährbetreibers kommen und die Schäden beseitigen.

Sprachlich wirkt fast die gesamte Mitarbeiterschar weniger französischen, sondern mehr rumänischen Ursprungs. Da erleichtert die Kommunikation nicht zwingend, wobei man nicht sicher sein kann, dass es mit Französisch besser funktionierte.

Nach etwa 20 Minuten erreiche ich die Bar. Inzwischen habe ich jede Orientierung verloren und bestelle einfach auch das, was mein Vordermann gerade bestellt hat. Die Gattin treffe ich achtern wieder, sie freut sich, wir trinken alles aus.

Gut, wenn man weiß, wo man ist

Um uns herum steht alles, was man nicht um sich herum stehen haben möchte: Soldaten, halb ausgezogene, übergewichtige 25-jährige Frauen. Außerdem junge Männer, die als Rocker oder Türsteher Karriere machen könnten, mittelalte Männer, deren gestählte Körper kurz vor dem Platzen stehen, und ältere Männer, die offensichtlich nicht wissen, was die Wörter auf ihren bedruckten T-Shirts bedeuten.

Es gibt viele Hunde an Bord. Die wenigsten benutzen die Bereiche, die speziell als Hundeklos ausgestattet und gekennzeichnet sind. Vielleicht haben Hunde einfach ein (zu) feines Gespür für echtes Gras und richtige Bäume.

Irgendwann gibt's Internet und Telefonie nur noch gegen Aufpreis. Der Wind nimmt zu, wir haben genug gesehen und gehen zurück in unsere Deluxe-Kabine, um das Mitgebrachte zu essen. Es gibt Käse, Baguette und Rotwein, très français.

Die Vomacur macht das Einschlafen leicht, um halb eins klingelt der Wecker, dann nehmen wir noch eine.

À demain

Um halb sechs klingelt der Wecker schon wieder, denn wir haben ein Frühstück gebucht und möchten es vor der Einfahrt in Bastia noch essen.


Es könnte so schön sein


Die erste dicke Überraschung des Tages: Alle, die gestern da waren, sind immer noch da. Aber jetzt stehen sie nicht mehr an der Lido Beach Bar an, sondern an der Essensausgabe für alle, die Frühstück vorgebucht haben.


Diese Essensausgabe ist etwa 15 Meter lang, die Schlange bringt es locker aufs Dreifache. Die Zahl der Uniformierten hat sich verzehnfacht, ein deutscher Harly-Davidson-Fahrer trägt aus Sympathie ebenfalls Tarnfleck. Gegenüber und oben könnte man für erträgliches Geld zwei Café und zwei Croissants erwerben, statt sie zu erstehen. Mit Blick auf die Uhr teilen wir uns auf: Eine schlängelt sich weiter, einer packt zusammen.


Da die Zimmerkarte nicht mehr funktioniert, bietet sich mir noch die Chance, der jungen Dame an der „Reception“ mein Missfallen über verschiedene Aspekte dieser Reise mitzuteilen. Sie steckt das mit einem Schulterzucken weg.


Die Landungstruppen vor der Attacke

Nach unserer Frühstückserfahrung gehen wir nochmal hoch, um die Landung zu beobachten. Dabei sehen wir wieder diese Menschen: Rennradfahrer, die bereits ihre Radschuhe anhaben und sich dementsprechend ungelenk durchs Treppenhaus bewegen. Orientierungslose beiderlei Geschlechts, die im Treppenhaus mal hoch, mal runter hasten. Eltern, die ihren Kindern diese Welt erklären müssen ...

Die Aufzüge nach unten sind übrigens noch nicht zu benutzen. Dafür werden die Treppen nach unten ab Ebene sechs immer voller. Man möchte sich nicht ausmalen, was wohl passierte, wenn jetzt etwas passierte.

Irgendwie geht aber doch alles gut aus. Nach dem last-in-last out-Prinzip befahren wir erst gegen acht Uhr korsischen Boden.

Frühling 2025 – 23. Mai: Toulon

Im Süden sieht die Welt gleich ganz anders aus

Unser Tag fängt heute etwas früher an, bis spätestens 18 Uhr müssen wir zur Einschiffung im Hafen von Toulon sein.

Nach dem Aufstehen packen wir schon mal ein bisschen, dann gehen wir zum Boulanger, schauen en passant beim Fromager rein und verabschieden uns nach allen weiteren Verrichtungen sehr angenehm vom Hotel. Um 10.20 Uhr fahren wir ab.

Bis Lyon sind es nur etwa 45 Kilometer, der Verkehr ist flüssig, aber irgendwann vor Lyon fällt der Gattin auf, dass wir umzingelt sind von alten, grauhaarigen Menschen, die offensichtlich nichts Besseres zu tun haben, als mit ihren SUV die Autobahn rund um Lyon zu verstopfen.

Wir gehören auf jeden Fall dazu.

Toulon – unser Tagesziel an der Mittelmeerküste

Nach Lyon wird die Fließgeschwindigkeit zäher. Es gibt viele Staus, mal mit kürzerem Zeitverlust, mal mit längerem. Nördlich von Montélimar texte ich mit Sylvie, dass wir spätestens um halb fünf bei ihr sind, um den Essig abzuholen.

Ab und an machen wir noch eine kurze Pause, nach Avignon sieht das Land plötzlich nach Süden aus. Leider nehmen die Staus nicht ab, sondern eher zu. Kurz vor Aix-en-Provence telefoniere ich nochmal mit Sylvie und sage unseren Besuch ab. Wir sind inzwischen nicht mehr auf der sicheren Seite.

Sylvie ist betrübt, ich bin es auch. Wir einigen uns darauf, die Telefonnummern gegenseitig zu speichern – man weiß ja nie. Auf ihre Frage, woher wir kommen, sage ich „Würzburg, Nürnberg“, und sie antwortet „Bamberg“. So erfahren wir, dass sie eben dort eine zeitlang in einer Familie gelebt und Deutsch gelernt hat.

So klein ist die Welt.

Dass die Absage richtig war, zeigt der weitere Verlauf der Fahrt: Wir erreichen den Hafen von Toulon um 17.35 Uhr, da wäre die Abfahrt bei Gémenos wirklich zu viel Risiko gewesen.

So läuft alles nach Plan, wir stehen zwar noch einige Zeit wartend in der Sonne, nehmen gegen halb sieben die erste Vomacur und fahren guten Mutes und mit allen anderen auf die Riesen-Fähre nach Bastia.

Die Fähre nach Ajaccio sieht unserer täuschend ähnlich

Was danach geschieht, ist uns glatt einen eigenen Eintrag wert.