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Gleich sind wir in Sicherheit
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Wo waren wir stehengeblieben? Vor dem Tor zur Hölle! Und dann fahren wir rein.
Das Einparken regeln die Profis im Bauch des Ungeheuers sehr professionell, wir haben kleine Täschchen mit Wäsche und Essen gepackt, die wir bloß greifen und mitnehmen müssen. Dann geht es mit dem Fahrstuhl von Ebene drei auf Ebene sechs, wo uns ein weniger freundlicher Steward die Kabinentür öffnet und verschwindet.
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Cabin with a view
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Nach den upgrades der letzten Tage haben wir das Gefühl, diesmal deutlich zu wenig für unser Geld zu bekommen. Aber was soll's – die Welt ist halt nicht gerecht. Stellen wir doch erstmal alles hin und gehen nach oben, wo wir die Ausfahrt live erleben können.
Aus der Kabine treten wir zurück in den langen Gang, der links und rechts von anderen Kabinen gesäumt wird. Die rechts haben auch ein Fenster, die links nicht. Dafür stehen links öfter mal zwei Doppelstock-Bettchen in einem Raum.
Vom Gang geht es nach links in das Treppenhaus, wo wir mit dem Aufzug angekommen waren. Unten gibt es Wellness und Spa, oben ein Restaurant und die Lido Beach Bar. Überall lagern Menschen in Ecken auf Isomatten, manche haben Schlafsitze gebucht und sitzen jetzt Seit' an Seit' in dunklen Innenräumen.
Wir folgen den Treppen nach oben, bis wir in Freie treten können. Alle anderen sind auch schon da. Und die Lido Beach Bar ist nicht weit.
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Blick zurück auf die Zeit, als wir noch festen Boden unter den Füßen hatten |
Madame macht Fotos vom Land, Fotos vom Meer. Ich sehe überall Menschen, denen nichts peinlich ist. Von meiner Frau verlassen, reihe ich mich in die Schlange ein, die in die Bar führt. Ich will irgendwie an zwei Plastikbecher kommen, weil wir den Wein zu unserem mitgebrachten Essen nicht aus der Flasche trinken möchten.
Von drinnen dröhnt schreckliche Musik, im Innenraum angekommen, sehe ich eine ältere Dame an einem Tisch mehr hängen als sitzen. Sie ist grau im Gesicht und fand die Musik wohl auch zum Kotzen. Um sie herum stehen Angehörige, unter ihr liegt ein Mageninhalt in mundgerechten Stücken. Später wird ein gelb-blau bekleidetes Team des Fährbetreibers kommen und die Schäden beseitigen.
Sprachlich wirkt fast die gesamte Mitarbeiterschar weniger französischen, sondern mehr rumänischen Ursprungs. Da erleichtert die Kommunikation nicht zwingend, wobei man nicht sicher sein kann, dass es mit Französisch besser funktionierte.
Nach etwa 20 Minuten erreiche ich die Bar. Inzwischen habe ich jede Orientierung verloren und bestelle einfach auch das, was mein Vordermann gerade bestellt hat. Die Gattin treffe ich achtern wieder, sie freut sich, wir trinken alles aus.
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Gut, wenn man weiß, wo man ist
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Um uns herum steht alles, was man nicht um sich herum stehen haben möchte: Soldaten, halb ausgezogene, übergewichtige 25-jährige Frauen. Außerdem junge Männer, die als Rocker oder Türsteher Karriere machen könnten, mittelalte Männer, deren gestählte Körper kurz vor dem Platzen stehen, und ältere Männer, die offensichtlich nicht wissen, was die Wörter auf ihren bedruckten T-Shirts bedeuten.
Es gibt viele Hunde an Bord. Die wenigsten benutzen die Bereiche, die speziell als Hundeklos ausgestattet und gekennzeichnet sind. Vielleicht haben Hunde einfach ein (zu) feines Gespür für echtes Gras und richtige Bäume.
Irgendwann gibt's Internet und Telefonie nur noch gegen Aufpreis. Der Wind nimmt zu, wir haben genug gesehen und gehen zurück in unsere Deluxe-Kabine, um das Mitgebrachte zu essen. Es gibt Käse, Baguette und Rotwein, très français.
Die Vomacur macht das Einschlafen leicht, um halb eins klingelt der Wecker, dann nehmen wir noch eine.
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À demain |
Um halb sechs klingelt der Wecker schon wieder, denn wir haben ein Frühstück gebucht und möchten es vor der Einfahrt in Bastia noch essen.
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Es könnte so schön sein
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Die erste dicke Überraschung des Tages: Alle, die gestern da waren, sind immer noch da. Aber jetzt stehen sie nicht mehr an der Lido Beach Bar an, sondern an der Essensausgabe für alle, die Frühstück vorgebucht haben.
Diese Essensausgabe ist etwa 15 Meter lang, die Schlange bringt es locker aufs Dreifache. Die Zahl der Uniformierten hat sich verzehnfacht, ein deutscher Harly-Davidson-Fahrer trägt aus Sympathie ebenfalls Tarnfleck. Gegenüber und oben könnte man für erträgliches Geld zwei Café und zwei Croissants erwerben, statt sie zu erstehen. Mit Blick auf die Uhr teilen wir uns auf: Eine schlängelt sich weiter, einer packt zusammen.
Da die Zimmerkarte nicht mehr funktioniert, bietet sich mir noch die Chance, der jungen Dame an der „Reception“ mein Missfallen über verschiedene Aspekte dieser Reise mitzuteilen. Sie steckt das mit einem Schulterzucken weg.
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Die Landungstruppen vor der Attacke |
Nach unserer Frühstückserfahrung gehen wir nochmal hoch, um die Landung zu beobachten. Dabei sehen wir wieder diese Menschen: Rennradfahrer, die bereits ihre Radschuhe anhaben und sich dementsprechend ungelenk durchs Treppenhaus bewegen. Orientierungslose beiderlei Geschlechts, die im Treppenhaus mal hoch, mal runter hasten. Eltern, die ihren Kindern diese Welt erklären müssen ...
Die Aufzüge nach unten sind übrigens noch nicht zu benutzen. Dafür werden die Treppen nach unten ab Ebene sechs immer voller. Man möchte sich nicht ausmalen, was wohl passierte, wenn jetzt etwas passierte.
Irgendwie geht aber doch alles gut aus. Nach dem last-in-last out-Prinzip befahren wir erst gegen acht Uhr korsischen Boden.
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