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Mittwoch, 26. Juni 2024

Die Weinfest-Reise, 8. Tag: Das Alter fährt mit

Weikersheimer Idylle am Vormittag


24. Juni 2024


Vom schlechtesten Frühstück dieser Reise gehen wir zur Rezeption, um das Finanzielle zu regeln, und von dort zum Aufzug. Das mit dem Aufzug ist an sich schon hoch kompliziert, denn der Hotelkomplex ist über die Jahre wie ein Geschwür gewachsen. Deshalb müssen wir von der Rezeption ins 1. OG fahren, dort über zwei Gänge zum nächsten Aufzug gehen, mit diesem ins 3. OG fahren und dann wieder über Gänge und Stufen hinunter zu einer Zwischenebene, in der unser Zimmer liegt.


Neben der Aufzugstür hängt eine Urkunde von TourCert. Sie gilt für die Jahre 2023–2025 und bestätigt, dass unser Hotel ein Destinationszertifizierungsprogramm durchlaufen hat. Ich lese flüchtig: Denazifizierungsprogramm.


Um Viertel nach zehn fahren wir endlich los. Unser Streckenmeister Garmin hat andere Wege im Sinn als die Beschilderung auf der Straße. Deshalb fahren wir erstmal heftig bergauf, statt bergab und verzetteln uns zwei, drei Mal auf der Suche nach dem weiteren Weg.


Irgendwann kommen wir trotzdem durch Weikersheim. Von da ist es nicht mehr weit zum Beginn des Gaubahn-Radwegs, auf dem wir kilometerweit bergab nach Ochsenfurt rasen werden.


So sieht's aus im Land des Tauberhasen


Zwischen Röttingen und Bieberehren klappt es noch nicht so recht mit dem Bergabfahren, aber hinter Aub geht es los. Leider wechseln sich die angenehmen mit weniger angenehmen Strecken ab, außerdem wird es beständig heißer.


Im letzten August sind wir den gleichen Weg gefahren, hatten keinerlei Erwartung und waren begeistert. Diesmal waren wir auf stramm bergab eingestellt und sind ziemlich enttäuscht.


Die Lok auf dem Abstellgleis, wir warten weiter auf die endlose Abfahrt


In Ochsenfurt machen wir Mittagspause, schauen den Einheimischen beim Prüfen des Offenen Bücherschranks zu und gönnen uns zum Abschluss der Mahlzeit noch einen Kaffee und einen Granatsplitter vom Bäcker an der Ecke.


Mittags in Ochsenfurt


Den weiteren Weg nach Kitzingen kennen wir aus dem Eff-eff, nach etwas mehr als 60 Kilometern haben wir unseren Akku zur Hälfte geleert (so weit die Sache mit der endlosen Abfahrt), für die nächsten 25 Kilometer schalten wir etwas mehr Strom zu.


Wir fahren so, wie wir am letzten Montag begonnen hatten: auf dem Main-Radweg nach Schwarzach und von dort nach Hause.


Das sah vor einer Woche noch wesentlich trister aus


Das Publikum unterwegs ist schwierig. Kleine Gruppen, die nebeneinander fahren und darauf auch in Kurven nicht verzichten möchten. Einzelne, die andere überholen und uns dabei auf unserer Spur entgegenkommen. Ein Motorroller, der die gesperrte Straße nicht nutzen kann und deshalb mit hohem Tempo über den an dieser Stelle besonders schmalen Radweg brettert. Ein (Ehe?)Paar, das exakt im Scheitelpunkt einer Kurve und damit hinter einer Hecke anhält – sie wechselt das Trikot, er steht neben ihr auf unserer Seite – hätte ich nicht zufällig etwas Gelbes gesehen, wäre ich in ihn hineingefahren.


Darauf angesprochen, reagieren sie alle gleich. Sie haben alles richtig gemacht, wir sollten nicht so schnell fahren, wir sind doof. Manchmal gibt's auch noch ein paar Unflätigkeiten dazu. Die Verbreitung des Pedelecs bringt leider viele Leute aufs Rad, die besser Taxi fahren oder laufen sollten.


Gegen halb vier sind wir zu Hause und ziemlich platt. Die Runde hat uns stärker gefordert als wir dachten. Der Akku hat für die letzten Kilometer nicht mehr den nötigen Strom geliefert. Also erstmal duschen, dann Pause. Um halb acht sind wir mit unserer Haus-Aufpasserin auf dem Weinfest verabredet.


Hereinspaziert!


Der Abend wird noch recht nett, wir sehen und treffen viele Bekannte, der Wein von Kohles ist OK, das Essen vom örtlichen Metzger ist eher Weinfest-Niveau.


Um halb zehn treten wir den Heimweg an. Mo geht sofort ins Bett, ich schaue mir noch die zweite Halbzeit CRO : ITA an. Dem Spiel fehlt lange ein Tor, nachdem es gefallen ist, fällt den Italienern ein, dass sie zum Fußballspielen auf dem Platz waren.


Bekannter Weg neu erlebt

Sonntag, 23. Juni 2024

Die Weinfest-Reise, 7. Tag: „Das war der schönste Tag bisher!“

Anfangs macht die Jagst noch einen zahmen Eindruck


23. Juni 2024


Das schwule Pärchen mit dem kleinen Mädchen sitzt ganz hinten rechts und mischt vorsichtig das Frühstück auf. Anfangs lässt sie sich von Papa oder seinem Freund noch zum Buffet tragen und provoziert damit sehr schöne Bilder, z.B. wie ein Mann auf dem linken Arm ein kleines Kind trägt, mit der Hand das Brot hält und sich mit dem Messer in der rechten eine Scheibe davon abschneidet. Später steht sie auf eigenen Beinen und lässt die Herren abwechselnd hinter sich herlaufen.


Nachdem ich blöd wegen der Mitnahme zweier belegter Brötchen gefragt habe, serviert uns die Dame zwischen Rezeption und Frühstück einen Apfel, später schlägt sie ein Luchpaket von 4,50 Euro auf die Rechnung.


Immerhin habe ich endlich meinen wasserdichten Beutel für den Transport der Regensachen und meines Netzteils wiedergefunden, den ich gestern Abend schmerzlich vermisst hatte.


Dich, mein stilles Tal, grüß' ich tausendmal


Um halb elf kommen wir endlich auf die Straße, fahren zuerst nordwärts aus der Stadt hinaus und biegen irgendwann nach Osten auf unsere Tagesstrecke ab.


Wir haben heute etwa 600 Höhenmeter vor uns, den Hauptteil davon am Ende des Weges, deshalb werden wir überwiegend stromfrei fahren. Den Kocher-Jagst-Radweg haben wir 2013 schon mal bewältigt, wir erkennen ihn aber nicht wieder.


Das Wetter ist gut, die Sonne scheint gerne mal, wird aber nicht lästig. Der Weg ist ebenfalls gut, vor allem ist die Umgebung sehenswert. Möckmühl erkennen wir nicht wieder, Berlichingen lädt zur Bio-Pause, und kurz hinter Bieringen finden wir eine Bank zur Mittagspause.


„Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken.“


Weiter geht es durch kurze Waldstücke und in Schlangenlinien durch Felder und Wiesen. Langsam kommt die Steigung des Tages näher, wir haben aber keine Ahnung, was uns wirklich erwartet.


In Dörzbach fahren wir zum letzten Mal vom Weg ab – das Café des örtlichen Edeka hat geöffnet, da wird doch noch ein Stück Kuchen für uns drin sein, vero? Vor Ort erfahren wir, dass uns dieser Gedanke mit vielen anderen verbindet. Der Laden brummt vor unterzuckerten und unterkoffeinierten Radfahrern.


Sie sehen alle nicht so aus, als hätten sie bereits hohe Distanzen absolviert, trotzdem zweifeln sie hörbar daran, dass ihr Akku den Rückweg noch schaffen wird. Aber man ist vorbereitet: Etwa jede/r Zweite geht mit seinem Akku (mit Griff) und einem Anschlusskabel (oder heißt es Kabelanschluss?) ins Café und ohne wieder raus.


Da wird drinnen wohl auch Strom serviert.


Schöne Lage im schönen Tal, das muss Schöntal sein

Für uns geht es erstmal entspannt weiter, scheint wohl doch nicht so wild zu sein mit dem Anstieg des Tages.

Wenig später kommt ein kurzer Anstieg, dann geht es hinter einem Rennradfahrer geradeaus. Der Kollege ist irgendwie unzufrieden, er kommt nicht recht weg und schaut sich öfter nach uns um. Hinter Rengershausen ist es dann so weit, es geht spürbar bergauf, der Garmin zeigt zwei Kilometer Anstieg an.

Wir drücken aufs Knöpfchen, der Rennradfahrer hat das Nachsehen, aber strampeln müssen wir auch ganz ordentlich auf dem Weg nach oben. Am Ende werden wir mit rund zwei Kilometern Abfahrt nach Stuppach belohnt. Selber treten kommt dabei nicht in Frage, die Strecke ist völlig leer und sehr gut einsehbar, da rollen wir ohne eigenen Beitrag mit fast 60 km/h ins Willinger Tal.


Die Belohnung für zwei Kilometer Anstieg hinter Dörzbach


Durch Bad Mergentheim geht es schnell, was wir sehen, muss man nicht gesehen haben. Es bleiben noch sechs Kilometer bis zu unserem Hotel. Der Radweg führt wirklich direkt vor die Tür.


Das Haus ist auf Radfahrer beeindruckend vorbereitet: großer Fahrradschuppen, 18 Strom-fächer, in denen E-Bike-Akkus geladen werden können. Wir nutzen eines dieser Fächer für unsere Zwecke, klappt auch prima.


Heilige Mutter Gottes, hilf!


Das Haus selbst ist ein Labyrinth von Aufzügen, Gängen, Stufen und Stilen. Ich fahre ein Stück mit einem holländischen Paar, das 12 Tage hier bleiben will, der Gedanke schreckt mich.


Nach Dusche und Pause sitzen wir auf der Terrasse zum Essen. Der Kellner gibt sich Mühe, bringt aber statt des spritzigen Wassers doch die Medium-Variante. Der Silvaner ist absolut nichtssagend, der Acolon zum Jägerpfännle ungenießbar.


Die Küche arbeitet konsequent am Offenbarungseid. Mein Spargelsalat ist eigentlich eine gute Idee: weißer und grüner Spargel mit Erdbeeren in Olivenöl mariniert. Leider hat der Koch Angst vor der eigenen Courage und „ergänzt“ diese Bestandteile durch je vier Tomaten- und Eierspalten. Ohne die wär's wahrscheinlich kein Salat.


Nach dem Jägerpfännle frage ich den Kellner, warum der Koch drei Stücke kurzgebratenen Fleisches nach dem Braten in einer nicht selbst gewonnenen Bratensoße ertränkt. Er lächelt milde, wir suchen Beistand bei der Jungfrau am Ende der Terrasse.


Auf dem Zimmer sehen wir SUI : GER. Da hätte auch manch einer göttlichen Beistand gut gebrauchen können.


Einmal quer durchs Hohenloher Land


Die Weinfest-Reise, 6. Tag: You look great today!

Mehr Regen als man sieht

22. Juni 2024


Beim Frühstück trifft sich die Welt. Im langen Schwarzen mit Schlitz, im Fußballtrikot, im Fahrradtrikot, im (zu) knappen Höschen, im (zu) engen T-Shirt.


Ich stehe am Kaffeeautomaten, und bevor ich loslegen kann, schreibt mir der Automat eine Botschaft: „You look great today!“ Das ist zwar schmeichelhaft, aber zur Sicherheit schaue ich mich erstmal um, ob nicht der Mensch hinter mir gemeint ist.


Da steht aber niemand, also müssen die Worte mir gelten. Ich schaue an mir hinunter, sehe wie das Trikot um Bauch und Hüften spannt und denke mir: „Recht hat sie, diese intelligente Maschine.“ Mit dem Kaffee gehe etwas aufrechter als sonst zu unserem Tisch.


Den zweiten Kaffee hole ich mir an der anderen Maschine. Und tatsächlich: Bevor ich drücken kann, die gleiche Botschaft. Und wieder niemand anderes in der Nähe. Das kann kein Versehen, dass muss die Wahrheit sein.


Nach dem Frühstück packen wir, fahren ins 1. UG, befreien die Räder und fahren nochmal zurück zum Haupteingang. Drinnen gebe ich unsere Keycards zurück, draußen fängt der Regen an, wir machen uns auf.


In der Fußgängerzone kommen wir kaum durch, die Gattin mosert, ich grummle zurück. Ein Mann fortgeschrittenen Alters übernimmt die Mediation – nur wenige Meter nördlich läuft parallel die Fahrradstraße. Damit sind alle zufrieden, wir kommen gut zum Neckar und werden gleich ins Auf und Ab der Wohnstraßen verbannt.


Über Neckargemünd und Wiesenbach geht es weiter durch den Regen. Mal bleiben wir stehen, um etwas gegen den Regen anzuziehen, dann wird es innen zu feucht, und wir halten an, um es wieder auszuziehen. Hinter Hoffenheim (ja, da gibt's tatsächlich ein Dietmar-Hopp-Stadion) wird der Regen so stark, dass wir alles anziehen, was wir haben. Und bis zum Tagesziel nichts mehr ausziehen.


Wir fahren nördlich des Technik-Museums in Sinsheim vorbei, sehen das Stadion der Hoffenheimer nicht und erreichen gegen 14 Uhr die Stadtverwaltung von Grombach, wo wir die morgens geschmierten Brötchen essen.


Die Innenstadt von Bad Wimpfen rüttelt uns ganz schön durch


Der Regen hört nicht auf, die Stimmung trübt sich immer mehr ein. Und dann kommt auch noch der zweite nennenswerte Anstieg des Tages. Die Herzfrequenz wird heute dank neuer Batterie (im Sender, nicht im Herzen) ordnungsgemäß übertragen, bei Bad Rappenau stellen dafür die Leistungsmesser in den Pedalen die Arbeit ein.


Irgendwas is' immer.


Feiner wohnen


Gegen 16 Uhr erreichen wir unser Hotel in Bad Friedrichshall. Die Räder und die Taschen sind so verdreckt, dass wir sie hinter dem Haus erst einmal abspritzen. Gegen halb fünf sind wir in unserem großen Zimmer.


Schöner schlafen


Das Restaurant im Hause hat heute leider nicht geöffnet, das Angebot in der Stadt ist auf den ersten Blick wenig einladend. Aber irgendwas muss der Mensch ja essen, also gehen wir nach sieben mal über die Brücke und schauen, was wir finden können.


Negroni classico und sbagliato


Kurz hinter der Brücke wartet auf der rechten Seite „Laguna“ auf uns. Das ist ein Eiscafé mit Restaurant und nur mäßig befüllt. Wir dürfen uns den Zweiertisch aussuchen und bekommen in der Folge reichlich aufgetischt: Bruschetta, Bolognese, Carbonara und einen Salat. Danach noch einen Schokobecher, ein arosiertes Zitronensorbet und zwei Caffè.


Der Kellner spricht mit sichtbarem Vergnügen deutsch mit uns.


Einen Tisch weiter sitzt eine Gruppe von sechs jungen Leuten mit sehr viel Migrationshintergrund. Ich schaue ihnen eine Weile zu und verabschiede mich mit der Erkenntnis, dass mir mit solchen Menschen um Deutschland nicht mehr bange ist.


Das lässt sie etwas irritiert zurück.


Kurz vor zehn sind wir zurück, nehmen Emil und Erich vom Netz und schauen noch die zweite Hälfte von BEL : ROM. Die Herren machen das sehr gut, wir können uns kaum auf Duolingo konzentrieren.


Im schönsten Regen am Neckar lang

Die Weinfest-Reise, 5. Tag: Ein Moloch nach dem anderen

Raus aus Rheinhessen

21. Juni 2024


Das Frühstück ist in Ordnung, danach räumen wir zusammen, und um kurz nach zehn stehen wir unten und packen die Räder.


Ein Fahrrad affiner Gast wundert sich über die große Nabe in meinem Hinterrad, ich versichere ihm, dass es sich um einen Dynamo handelt. Er zweifelt, wir lösen auf. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen und verweist voller Stolz auf sein Piniongetriebe.


Von Guntersblum fahren wir über Alsheim nach Mettenheim, wo wir bei einem Weingut Station machen, dessen Cuvée „Fruits de mer“ wir auf unserer Reise durch den deutschen Norden kennengelernt und bereits einmal haben schicken lassen. Der Winzer freut sich über unseren Besuch, führt uns durch seine Produktionsstätten und will uns nach Aufnahme der Bestellung noch ein Flasche seines Grauburgenders mitgeben.


Für heute müssen wir ablehnen, aber für den nächsten Besuch versprechen wir Besserung.


Über Osthofen geht es weiter in Richtung Worms, hinter Rheindürkheim geht es durchs erste Industriegebiet. Das wird schnell zu einer ernsten Prüfung, denn wo früher ein Weg, eine Straße war, ist heute eine Baustelle, eine Umleitung. Es ist die Hölle, aber wir versuchen, uns zwischen aktueller Karte und erlernten Wegen zu orientieren und kommen einigermaßen durch.


Alte Schönheit nach den neuen Schrecken von Worms

Hinter Worms sieht es zunächst nicht besser aus: alte Industrieanlagen, neue Baustellen und viel Hässlichkeit. In Petersau stehen die feinen Pferdchen draußen, heute wird nicht gearbeitet, nur gefressen.


Dann erreichen wir Ludwigshafen, fahren zuerst an bekannten BASF-Toren und -Parkplätzen vorbei. Nach Tor 12 geht es in Richtung Südosten durch weitere Industrieanlagen. Wir waren gerade in Frankfurt und fühlen uns wie im Osthafen. Die gleichen Firmen, unzählige Container und die passenden Verladeeinrichtungen.


Hafenatmosphäre von Ludwigshafen nach Mannheim


Auf Mannheimer Seite geht es zunächst genauso weiter, dann kommen wir ins Stadtgebiet, fahren durch türkisch-arabische Lebenswirklichkeit und deutsche Parallelgesellschaft. Das sind auch für ehemalige Frankfurter unbekannte Realitäten.


Eine unerwartete und deshalb undokumentierte Baustelle bringt uns dann nochmal kurz aus der Fassung, unser Junior trägt seinen Teil dazu bei. Nach kurzer Mittagspause erreichen wir das Neckarufer, von dem wir die nächsten 15 Kilometer kaum noch weichen.


Überschwemmungsgebiet am Neckar

Unser Hotel erreichen wir bei leichtem Nieseln. Die Dame an der Rezeption schenkt uns ein upgrade auf das reservierte Zimmer, hat aber kein Verständnis für Radfahrer. Steckdosen für notleidende Akkus hat sie nicht. Für das Parken in der Tiefgarage möchte sie 25 Euro berechnen. Alternativ könnten wir ja draußen parken. Ohne Steckdose.


Ich schlage vor, dass wir mal selber schauen und fahre mit der Gattin zur Einfahrt der Tiefgarage. Die Rollgitter sind unten, ich bin kurz davor, ein Ticket zu ziehen, da kommt ein freundlicher Herr der uns vorschlägt, einfach die Tür neben den Gittern zu verwenden – „Wir Radfahrer müssen zusammenhalten.“


Unten suchen wir ohne Erfolg die ganze Ebene nach einer Steckdose ab. Am Ende öffnen wir den Zugang zum Hotel und werden tatsächlich fündig. In den Weiten des Souterrains fristet hoch über dem feinen Teppichboden eine einsame Steckdose ihr Dasein. Wir stellen unsere Räder darunter, verbinden sie mit dem Stromnetz und geben dem Leben der Steckdose einen neuen Sinn.


Dann fahren wir hoch, erklären der Rezeptionistin, dass wir eine gute Lösung gefunden haben und schließen den Check-in ab. Sie fragt nicht nach, sondern wirkt sehr zufrieden, dass sie nicht weiter involviert wird.


Nach dem Essen ist der Neckar nicht weit


Den Tisch fürs Abendessen haben wir in der Altstadt direkt an der Neckarbrücke reserviert. Der Service ist engagiert, das Essen gut. Wir gehen zurück und fühlen uns sehr an Ferrara und Piacenza erinnert. Nebenbei fragen wir uns, warum wir uns über das Weinfest bei uns echauffieren, während die Leute hier jeden Abend Weinfest hoch drei haben.


Zurück im Hotel fahren wir ins U1, sammeln die Kabel und Netzteile ein, fahren aufwärts und lassen den Tag ausklingen. Schrecklich am Tag, erfreulich am Abend.


Deutscher Wein, deutsche Industrie, deutsche Romantik

Freitag, 21. Juni 2024

Die Weinfest-Reise, 4. Tag: Dieser Weg wird kein leichter sein

Rechts ist der Flughafen, von links kommen die Flieger im Minutentakt


20. Juni 2024


Auf dem Weg zum Frühstück haben wir einen Lidl-Mann im  Fahrstuhl. Der muss uns natürlich genau erzählen, was es mit der Buchung des kompletten EG auf sich hat.


Er weiß total Bescheid: Lidl sponsort ja die Einkaufkinder dieser EM. Heute laufen sie beim Spiel DAN : GBR ein. Diese Kinder nächtigen samt ihrer Eltern bei uns im Hotel. Dazu gibt’s  Bespaßung und Geschenke aller Art. Heute müssen die Kinder dann im Stadion ran, und unser Fahrstuhl-Mann ist der Fotograf des Events. Er hat die Familien von der Ankunft über alle Stationen begleitet, und zum guten Schluss gibt's von Lidl bestimmt noch ein schönes Fotoalbum für die Familien.


Apropos Familien: Auf unserem Weg durch Sachsenhausen laufen von der Gerbermühle bis zur Uniklinik unzählige Grüppchen erwachsener Menschen in dänischen und englischen Trikots auf Sachsenhäuser Seite am Main entlang.


Die Gattin ist völlig entgeistert – aber wie entgeistert wäre sie erst gewesen, hätte sie geahnt, dass am Nachmittag rund 4.000 in Dänen-Trikots gewandete Dänen von der Alten Oper zum Hauptbahnhof und von dort weiter zur Fan-Zone am Frankfurter Mainufer ziehen und bei dieser Gelegenheit den kompletten Innenstadtverkehr zum Kollabieren bringen würden.


Genutzt hat es übrigens nichts, das Spiel endete 1:1.


Den weiteren Weg kennen wir gut. Zwischen Schwanheim und Flörsheim gibt es keine nennenswerten Veränderungen. Bei Okriftel nimmt die Umwandlung der alten Fabrik Gestalt an, es gibt erste Neubauten, die zum Verkauf stehen und wohl das Geld für die nächsten Bauabschnitte in die Kassen spülen sollen.


Zwischendurch stehen rund 20 Störche knöcheltief im Wasser und delektieren sich am lokalen Angebot an Fröschen und sonstigem Getier.


Direkt hinter Flörsheim fahren wir vom Radweg ab und nehmen durchs vollverschleierte Rüsselsheim die Route zum Waldfriedhof. Um kurz nach eins sind wir da, um drei ist die Trauerfeier für eine alte Kollegin terminiert, die in den letzten zwei Jahren gegen einen Krebs gekämpft und vor ein paar Wochen verloren hat.


Die Trauerfeier ist anders. Etwa 40 Teilnehmer, kein Trauerredner, kein Tralala, nur drei Lieder, dann trägt der Ehemann die Urne zum Grab. Die Gäste nehmen individuell Abschied, danach trifft sich die Trauergemeinde zum Leichenschmauß. Wir ziehen die Regenhosen wieder aus und machen uns auf den Weg zur Fähre nach Kornsand.


An dieser Stelle ein Lob an „gpx.studio“, mit dessen Hilfe wir den Abstecher navigiert haben. Der Weg ist super, wir kommen schnell und einfach durch Rüsselsheim und zum Deich. Auf dem weiteren Weg gibt's hier und da Probleme, einmal geht es so weit, dass wir in die mückenreiche Einöde abbiegen und an einer Absperrung vor den hyperaktiven Blutsaugern fliehen müssen.


44 Gänge westwärts

Die Fähre erreichen wir just in time, auf der anderen Seite geht es weiter in Richtung Oppenheim.


Die Gattin wünscht sich eine Panoramafahrt am Rhein, der dafür angebotene Weg entpuppt sich als Schlammstrecke. Wir erkennen die Wahrheit des Mottos „Wenn du den Menschen etwas antun willst, dann erfülle ihre Wünsche.“


Knapp 1.500 Jahre trinken, trinken, trinken

Durch Dienheim und Ludwigshöhe fahren wir nach Guntersblum, wo wir ein Hotel mit Restaurant gebucht haben.


Unterwegs sprechen wir mit einem Nebenerwerbs-Winzer und einer netten Pferdehalterin, am Ziel kommen wir erstmal an der falschen Stelle an: Familie Baumann hat mehrere Besitztümer im Ort, wir werden von der Chefin persönlich vom Weingut zum Hotel mit Restaurant dirigiert.


Rheinhessen steht stramm


Nach dem Duschen finden wir uns im Hof zum Essen ein. Der Restaurantleiter ist gut drauf, wir auch, das wird ein schöner Abend. Wir essen Menüs mit drei bzw. fünf Gängen, die Weine dazu kommen vom hauseigenen Weingut und sind gut und günstig.


Das Essen ist überraschend gut, wir sind sehr angetan. Gegen zehn gehen wir schlafen, die Nacht verläuft gut, das Mückenöfchen bringt die Parasiten um.


Ein kleiner Umweg machte die Etappe zur traurigen Angelegenheit