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Montag, 25. April 2022

Deutschland ohne e – noch zwei Tage, noch weiter im Norden

Hein Tüüt II sitzt auf dem Trocknen


Guten Morgen, gutes Frühstück, tschüss Kiel.


Nach dem tollen Frühstück sind wir gerade noch rechtzeitig am Parkplatz, um der heiratswilligen Mittzwanzigerin alles Gute auf ihrem Weg in die Ehe zu wünschen, danach brechen wir in Richtung Flensburg auf.


Der vereinbarte Corona-Test-Termin am Alten Markt fällt leider aus. Er schien uns nötig, nachdem wir über einen nahen Kontakt am 21. April informiert worden waren. Zur vereinbarten Zeit war das Testzentrum allerdings nicht besetzt, so dass wir weiter fuhren.


Um kurz nach 12 der nächste Verwandtschafts-Besuch, diesmal in Flensburg. Auto leeren, Gästezimmer füllen, kurz plaudern, dann umziehen und auf die Räder. Wir wollen doch mal sehen, wie die jungen Menschen aus Kiel ihr Boot polieren, das heute aufs Wassern am 8. Mai vorbereitet werden soll.


Ja, am 8. Mai wird nicht nur gewählt in Schleswig-Holstein ...


Nach knapp anderthalb Stunden gegen den Wind erreichen wir Gelting Mole, treffen alle bekannten plus einige neue Menschen, suchen aber schnell das nahe Segler-Café, um endlich etwas zu essen – das Fischbrötchen entlang des Weges war ausgefallen.


Hin Brustwind, her Rückenwind

Kurz nach sechs sind wir zurück in Flensburg, schwätzen wie am Abend zuvor, spät ins Bett.


Sonntagmittag sitzen wir in der Förderpromenade 1 beim Essen. Es ist das beste, was wir in den letzten zwei Wochen auf dem Teller hatten, und so reichlich, dass am Ende nicht mal mehr für das Limoncello Sorbet Platz war. Stattdessen war ein langer Spaziergang rund um die Innenförde angesagt (und zweckdienlich).


Tagsüber überraschend warm, nachmittags sehr kühl und starker Wind

Zurück zu Hause kurze Pause, abends wieder schwätzen und über die Wiederwahl von Macron in Frankreich freuen.


Morgen letzter Tag.


Nacht, Nacht, Nacht


Heute letzter Tag.


Nach dem Frühstück mit dem Ringbus in die Stadt. Nach dem Stadtbummel mit dem gleichen Bus auf der anderen Hälfte des Rings zurück. Klappt sehr gut. Der Bus ist 2x pünktlich, die Haltestelle liegt nur ein paar Schritte von unserer Bleibe entfernt.


Schmeckt dem Dänen, schmeckt uns

Zum Mittagessen geht's nach Dänemark, konkret nach Kollund an den Strand. Wir erstehen einige der landestypischen Hot-Dogs und essen sie draußen mit Blick auf die wenig frequentierte Förde.


Nach Rückkehr gibt's noch frischen Kaiserschmarrn, dann packen wir das Auto und freuen uns auf die Heimfahrt.


Lecker bis zum Schluss

Deutschland ohne e – der schnellste Weg in den Norden

Hier wohnt, wer die Landesregierung besucht

Gutes Frühstück in Bremen, dann packen, Auto abholen.


Der frühe Vormittag lief recht planmäßig ab, das Beladen des (überraschend großen) Leihwagens ging nicht so flott von der Hand, da fehlt etwas die Übung.


Gegen Mittag waren wir dann auf der Autobahn, nach kurzer Zeit erreichten wir den Hamburger Hafen. Auch durch den Elbtunnel lief es reibungslos, zumindest auf unserer Seite. Die Gegenspur stand noch einige Kilometer nördlich und wartete auf den Ein- bzw. Durchlass.


Unser Hotel in Kiel erreichen wir gegen 15 Uhr, es liegt in einem sehr schönen Viertel, nicht weit vom Wasser. Wir installieren uns schnell und gehen runter an die Wasserkante – sie entpuppt sich als nördlicher Teil des Hafens und beliebte Flaniermeile.


Menschen, Tiere, Wahlplakate (am 8. Mai wird in Schleswig-Holstein gewählt).


Die CDU setzt auf MP Daniel Günther, die Grünen setzen auf Windkraft. Die SPD zeigt keine Kandidaten, nennt keine Namen und will einfach vom Kanzlerbonus profitieren, die FDP will:


Frieden und

Verantwor-

tung,


obwohl doch


Frieden

und Verant-

wortung


genauso gut und viel besser lesbar gewesen wären.


Die PARTEI dokumentiert, dass ihr EU-Abgeordneter über die Rente nachdenkt und verspricht, nach der Wahl alles um 17 Cent billiger zu machen. Das ist moderne Inflationsbekämpfung.


Hier trinkt der Kieler Kaufmann

Wir sind nach etwas mehr als einer Stunde zurück im Hotel, gehen schwimmen und legen uns anschließend nochmal hin. Um halb sieben brechen wir auf, durchwandern ein sehenswertes Villenviertel und sind pünktlich um sieben beim besten Marokkaner in Kiel, wo wir gut essen und uns bis halb elf aufs Munterste mit der ortsansässigen Verwandtschaft unterhalten.


Danach auf anderem Weg durchs gleiche Villenviertel – Aah, ooh, schau' mal da – zurück ins Hotel. Müde.

Donnerstag, 21. April 2022

Deutschland ohne e – die 9. Etappe: Abkürzung nach Flensburg

Ein wunderbarer Start in den Tag


Endlich wieder Großstadt!


Heute war aller Anfang wieder schwer. Die Damen an der Hotel-Rezeption waren mindestens so muffig wie die Kollegin beim Einchecken gestern Nachmittag. Das Frühstücks-Buffet war ein Bedien-Buffet, und die Ausgeberin wachte über Butter und Brötchen wie die Glucke über ihre Küken.


Nach Überwinden der Müllberge rund um den Hintereingang ging es zunächst durch den Ort, dann in nördlicher Richtung durch bessere Wohngebiete bis ins Verdener Villenviertel: Häuser unterschiedlicher Schönheit, alle darauf ausgelegt, die finanzielle Situation der Eigner nach außen zu kommunizieren. Und hinter den zugezogenen Gardinen mit Sicherheit genau die beklemmenden Leben, mit denen wir Älteren in den 80ern bei Derrick und dem Alten vertraut gemacht wurden.


Einziger Lichtblick waren die Störche auf den Dächern bzw. auf Nahrungssuche in den Vorgärten.


Über Eissel ging es erstmal sehr schön, später sehr geradeaus am Weserkanal entlang bis nach Baden. Dort waren die Villen nochmal deutlich größer und durch ihre terrassierte Bauweise mindestens ein, zwei Etagen erhabener. Auf Radweg-Niveau die Mehrfachgaragen, darüber wahrscheinlich die Technik-, Fitness- und Kellerebene. Und darüber in der Regel zwei Stockwerke Villa.


Von unten gab es zwar Treppen bis hinauf, wir gehen aber schon davon aus, dass es sowohl Fahrstühle als auch eine Andienung auf höchster Ebene gibt.


Für uns ging es weiter über Wirtschaftswege durch Felder und Wiesen, irgendwann trafen wir ein Pärchen, mit dem wir uns schon gestern abwechselnd mal überholt hatten. Heute fragten wir nach, ob sie wirklich draußen schliefen (sichtbare Isomatten usw.), was sie bejahten. Bei Nachttemperaturen von knapp über dem Gefrierpunkt mussten wir uns als Weicheier outen, was die strampelnde Frau mit dem Hinweis darauf bedachte, dass man nur einen guten Schlafsack bräuchte.


Gegen Mittag erreichten wir das Naherholungsgebiet „Neue Weser“, direkt gegenüber dem hiesigen Fußballstadion, das überraschenderweise immer noch nicht Arena o.ä. bzw. nach einem lokalen Bank- oder Versicherungsunternehmen benannt ist.


Etwas weiter westlich überragten schon die Türme des Bremer Doms die Bebauung. Jetzt noch ein paar Meter, schon rollten wir über die Wilhelm-Kaisen-Brücke direkt in die Fußgängerzone. Hier war echtes Leben, hier stehen beeindruckende Bauwerke, hier fühlten wir uns spontan zu Hause.


Herzlich willkommen in der größten Stadt Bremens

Unser Hotel war nur ein paar Schritte vom Dom entfernt. Nicht weit weg gibt’s ein Fahrradparkhaus, wo wir für einen Euro eine abschließbare Box mieten und beide Räder drin verstauen konnten. So lernt man nebenbei neue Techniken kennen, wer weiß, wann man sie nochmal brauchen kann.


Nach dem Duschen ging es gleich in die umliegenden Straßen mit den üblichen Karstadt-usw.-Verdächtigen, dann durch die hässliche Lloydpassage. Deren Hauptweg kopiert mit kupfernen Handabdrücken den Walk of Fame in Hollywood, wobei Katja Riemann, Peter Maffay, Jan Böhmermann und Ailton jeweils eine eigene Platte haben, während sich Uwe Seeler die Ehrung mit Max Lorenz teilen muss.


Aber uns Uwe ist ja auch kein Bremer.


... und seit 1989 tragen alle Schwestern das Schicksal der Vereinigung mit

Auf dem Rückweg gab’s noch Torte satt im Schnoor-Viertel, um fünf lagen wir schon im Bett, um uns für den Abend fit zu schlafen. Aufbruch um halb sieben, unterwegs durch die Grünanlage kam uns Henning Scherf mit seiner Gattin entgegen, mit knapp 84 Jahren ist der Mann immer noch super in Schuss. Für 19 Uhr haben wir in Küche 13 reserviert. Nicht weit vom Hotel, im sehenswerten Ostertor-Viertel und mit richtig guter Küche.


Die Gattin war ebenfalls sehr angetan, störte sich aber daran, dass bei Küche 13 der Nomen tatsächlich Omen ist. Sie weiß nicht, wie, wo und wann sie ihre wenigen Kleidungsstücke so lüften soll, dass sie bis zu unserer Rückkehr tragbar bleiben. Vor uns liegen: morgen Kiel mit Verwandtschaft, dann Flensburg mit noch mehr Verwandtschaft.


Rathaus, seitlich, beweglicher als gedacht

Für Mitte der kommenden Woche haben wir die Heimreise geplant. Und für die Zeit danach hat das Burgund eine ernst zunehmende Konkurrenz bekommen: Wien und das Burgenland.


Kurz, abwechslungsreich und mit sehr gutem Ende: unsere – vorerst – letzte Etappe

Mittwoch, 20. April 2022

Deutschland ohne e – die 8. Etappe: Das Wetter spielt nicht mehr mit

Start in einen guten, schweren Tag


Wir haben gut gegessen, gut geschlafen, gut gefrühstückt.


Der Mühlengasthof in Landesbergen war eine wirklich gute Adresse. Kein Schnickschnack, kein Getue, sondern ein Angebot, das perfekt zu unseren Vorstellungen passte. Andere Gäste waren weniger zufrieden, aber so ist das halt im Leben …


Mit Blick auf die Anstrengungen der letzten Tage haben wir beschlossen, unser Programm ein wenig zu modifizieren: heute und morgen jeweils eine kürzere Etappe mit dem Ziel, am Donnerstag schon vormittags in Bremen anzukommen, um dann frisch geduscht die Stadt beschauen zu können.


In der Folge schlafen wir etwas länger, fahren erst um kurz nach zehn los und folgen dem Radweg in Richtung Nienburg, denn – wie uns andere Reisende verraten – dort gibt es eine schöne Altstadt, und heute ist Markt. Letzteres stimmt, bezüglich der Altstadt kann man geteilter Meinung sein, denn der über Jahre bis Jahrzehnte ausgelebte Modernisierungswahn hat auch in Nienburg eine Schneise des Schreckens hinterlassen.


Trotzdem gibt es zwei Lichtblicke: Erstens Reifen Günther, der am Ortseingang Nienburg die Zukunft der deutschen Pflege regelt. Mit SB-Pflegezentrum und Selbstwaschbox. Zweitens ein Handy-Shop in besagter Fußgängerzone, bei dem wir für 2x vier Euro drei neue Batterien für unsere Trittfrequenzzähler bekommen. Die acht Euro Umsatz müssen für den Shop-Betreiber sensationell gewesen sein, denn die dritte Batterie schenkt er uns dazu.


Nach Nienburg wird es richtig schön am Radweg: verschlungene Wege, weite Blicke aufs und übers Land, alte niedersächsische Höfe in traditioneller Backsteinbauweise und bestem Erhaltungszustand – es ist in jeder Hinsicht eine Freude, sie zu sehen.


Wären doch nur die Fußgängerzonen so gut in Schuss wie die Bauernhöfe


Unterbrochen wird die Freude von schlecht erhaltenen Kopfsteinpflasterwegen bei Schweringen (sic!), von aufgebrochenen Asphaltdecken und zweifelhaften Wegführungen. Gibt es eventuell tiefere Gründe oder hat sich überhaupt jemals jemand Gedanken darüber gemacht, warum Radwege so oft an Kläranlagen und Friedhöfen vorbei führen?


Egal, wir fahren weiter nach Norden, der Wind bläst uns immer intensiver entgegen, die Freude am Schauen wird von den Strapazen der Strecke mehr und mehr geschmälert.


Weites Land zwischen Hoya und Verden

Am Ende erreichen wir (später als gedacht) Verden an der Aller, ein weiterer kleinstädtischer Tiefpunkt dieser Reise. Die Hauptstraße ist eine einzige Aneinanderreihung von Fachwerk-Desastern und sonstigen Bausünden. Die Menschen sind muffig. Der freundliche  Italiener im Eis-Café am Ende der Großen Straße entschuldigt sich mit seiner langen Anwesenheit in Deutschland dafür, dass ihm nicht gleich einfällt, was ein Affogato ist: „So etwas Schönes, und ich habe es vergessen!“


Zum Vergessen ist auch unser Hotel. Relativ gesehen, ist es das bislang teuerste dieser Reise, inhaltlich ist es maximal auf dem Stand der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und rundherum stehen abgewrackte Häuser, liegt der Müll in allen Formaten auf unterschiedlich hohen Haufen.


Aber es gibt Hoffnung. In den Seitenstraßen der Altstadt sehen wir liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser, teilweise mit interessanten Läden im EG oder gleich das ganze Haus als Konzept, wie z.B. eine Craft-Bier-Brauerei mit angeschlossenem Verkauf und Tasting-Room.


Unser dritter Mann: anspruchslos und immer dabei

Wir wickeln unser Nachmittagsprogramm ab, reservieren mangels Alternativen einen Tisch im Monte Carlo, wo wir erstens gut essen und zweitens das weitere Vorgehen besprechen: Das Wetter war nun acht Tage einigermaßen in Ordnung – kein nennenswerter Regen, halbwegs erträgliche Temperaturen –, nun drohen Regen und starker Ostwind ab Cuxhaven. Außerdem wurde die Fährverbindung zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel eingestellt, was uns eine angepeilte Abkürzung unmöglich macht.


Also beschließen wir, die familiären Besuche in Flensburg und Kiel auf das Wochenende vorzuziehen und dann zu entscheiden, wie es weitergeht.


Wenn Marine le Pen die Wahl am Sonntag nicht gewinnt, wäre z.B. eine Verlegung unserer Aktivitäten ins Burgund denkbar. Dijon prognostiziert Temperaturen über 20 Grad für den Beginn des Wonnemonats. Und ganz andere Speisekarten als in Höxter, Rinteln und Verden.


Die kürzeste Etappe muss nicht die leichteste sein

Dienstag, 19. April 2022

Deutschland ohne e – die 7. Etappe: Die Müh(l)en Niedersachsens

Vom Start bis zum Hotel: Mühlen, Mühlen, Mühlen


Die erste Hälfte der Fahrt war kein Vergnügen.


Langweilige Landschaft, wenig reizvolle Orte, häufige Wechsel zwischen schlechten Böden. Man wundert sich wirklich, warum Radfahrer so oft auf unwegsames Gelände dirigiert, warum Radwege mit weicher Oberfläche gebaut, warum die Reifen scharfkantigem Schotter ausgesetzt werden.


Mit dem Erreichen von Bad Oeyenhausen haben wir all diese negativen Vorgaben unfall- und pannenfrei gemeistert. An einem Tisch am Weserufer haben sich drei Herren und ein Pudel versammelt. Wir kommen ins Gespräch und werden quasi millimetergenau auf die folgenden Kilometer vorbereitet – inklusive rechtzeitigem Winken hinauf zum Kaiserdenkmal.


Bald darauf erreichen wir Minden und suchen eine Verpflegungsmöglichkeit, es trifft den einzigen REWE im Ort. Bei Witwe Boltes Hähnchengrill vor dem Markt treffen sich alle, die kein Geld, keine Arbeit, keine Perspektive haben. Oder sich gerne vom Witwer Bolte anschreien lassen möchten.


Einer von ihnen ist der bettelnde Junkie, der dort sitzt, wo ich mit den Rädern stehe, während die Gattin das Mittagessen erwirbt. Der Junkie bettelt kommende und gehende REWE-Kunden an und zahlt mit der Beute bei Wittwer Bolte die gewünschten Leistungen an. Natürlich gibt es dabei immer sofort Streit darüber, wie viel bereits bezahlt und wie viel noch beglichen werden muss. 


Kurz bevor wir wieder fahren, hat der Junkie ein Opfer gefunden, das ihn versteht. Der Mann setzt sich zum ihm und lässt sich in Ruhe erklären, dass eigentlich genug Geld da ist, um die Obdachlosen von der Straße zu holen, die Gemeinden das Geld nur leider falsch einsetzen. Außerdem sind 40 Prozent der Medizinstudenten Junkies auf Amphetaminen und Ritalin und man sollte sich beim nächsten Arztbesuch ruhig mal darüber Gedanken machen, ob der eigene Doktor einer dieser 40 Prozent war.


Hinter Minden bessere Piste, aber noch mehr Wind

Wir speisen auf der anderen Seite der Weser, sehen Skater, Spaziergänger und Radfahrer, die sich an uns vorbei auf den Weg in Richtung Norden machen, einige treffen wir nach der Pause wieder – z.B. den Vater mit zwei Söhnen von ca. drei und sechs Jahren, die beide sensationell Rad fahren.


Irgendwann erreichen wir Petershagen, wo uns neue Alltagsmenschen von Christel und Laura Lechner erwarten. An der Hauptstraße, vor dem Rathaus und beim Eiscafé Dolomiti, wo es heute den Affogato gibt.


Man fragt sich, wen man selbst wählen würde

Spätestens jetzt wird zwar der Weg besser, werden die Mühlen schöner (häufiger), merken wir aber die Wirkung der letzten Tage immer mehr. Und das liegt nicht zuletzt am Wind, der uns aus nördlichen Richtungen entgegen kommt.


Unser Ziel erreichen wir entsprechend spät, ein hübsch gelegenes Hotel, dessen Chef, Koch und Bedienung vor der Tür entspannt beisammen sitzen und uns freundlich aufnehmen. Zwei Stunden später sitzen wir geduscht und hungrig im Restaurant, schauen der 16-jährigen Bedienung beim Lernen zu und wundern uns über die hohe Qualität des Essens.


Zum Espresso die letzte Mühle des Tages

All's well that ends well.


Nur noch 200 Kilometer bis zur Küste


Montag, 18. April 2022

Deutschland ohne e – die 6. Etappe: Veronika, der Raps ist da!

Höxters Weltkulturerbe wird für die BuGa aufgehübscht

Ein toller Tag. Landschaftlich, wetterlich und sonstich.


Irgendwie sind wir heute gut erholt und entsprechend früh dran. Beim Aufstehen, Frühstücken und Auschecken. Durch die vielen Baustellen und Sperrungen gestaltet sich die Ausfahrt aus Höxter etwas komplizierter, aber ein Paar, das wir nahe des Hotels treffen, bringt uns in die richtige Spur: vorbei an Schloss Corvey und auf den Radweg gen Bodenwerder.


So schön reist man auf Deutschlands beliebtesten Radweg

Wir rollen gut eingepackt (neun bis elf Grad) am Fluss entlang, passieren Holzminden und wohnen irgendwo hinter Polle der Rettung und Heimholung eines ausgebrochenen Pferdes bei, das in seiner Not ein Stück mit uns galoppiert war.


Aufregung allenthalben!


Gegen halb eins machen wir an einem Rastplatz mit Schutzhütte Mittagspause. Am Rastplatz steht ein Ehepaar unseres Alters, mit dem wir ins Gespräch kommen, in der Schutzhütte liegt ein schnarchender Mensch im Schlafsack.


Wir essen schön, anschließend gratuliert die Dame des Hauses ihrem Großneffen zum achten Geburtstag (Digitaluhr und Fahrrad mit 21 Gängen), dann geht’s weiter in Richtung Hameln. Unterwegs blüht überall der Raps, sind überall unterschiedliche Vögel zu sehen und zu hören und fliegen immer wieder die buntesten Schmetterlinge auf bzw. ein Stück mit.


Touristen an allen Ecken!

Je später der (Nach)Mittag, desto frequentierter der Radweg. Heutiger Höhepunkt ist Hameln, wo sich praktisch die ganze Welt am Weserufer trifft. Wir stoppen kurz, knuspern einen bröckeligen Energieriegel eigener Herstellung und machen uns auf die restlichen 30 Kilometer nach Rinteln.


Das geht ganz passabel, um kurz nach vier rollen wir über die große Weserbrücke und steuern den ersten Eissalon rechts an, wo wir einen Platz finden und gleich mal die Glückogenspeicher auffüllen. Danach zum Hotel, das in vielen Bereichen umgebaut wird und deshalb z.B. über kein Restaurant mehr verfügt.


Zeugnisse großer Geschichte, an jedem zweiten Haus in Rinteln

So müssen wir uns nach Körperpflege und kurzer Pause auf die Suche nach Verpflegung machen, was sich als schwieriges Unterfangen erweist. Rinteln ist eine Stadt mit Geschichte, aber an vielen Stellen leider in erbärmlichem Zustand. Anziehende Lokale finden wir keine, der Weg durch die Straßen ist deprimierend, am Ende landen wir im Mosquito, wo es alle Speisen aus allen Küchen der Welt gibt. Plus Bier, plus Cocktails, plus Disco aus den 60ern, 70ern und 80ern.


Altes Herz wird wieder jung.


Das Essen ist überraschend gut, die Musik gefällt jungen Leuten (sagt der Kellner), leider treffen Teile des Essens im Zuge der Nahrungsaufnahme auf die Hose, da gibt es Arbeitsaufwand nach Rückkehr ins Hotel.


Kurz vor dem Zahlen tritt Esma durch die offene Tür. Es ist kurz nach acht, die junge Dame führt einen migrationshintergründigen Familienverbund von fünf Personen an und nimmt das Lokal im Handstreich. Die Kellner stellen zwei Tische für die Teilnehmer zusammen, peu à peu kommen weitere Gäste hinzu, am Ende sitzt man zu acht beisammen.


Die eingangs erwähnte etwa Dreijährige hat inzwischen das Innen- und Außenleben des Lokals erkundet und sitzt entspannt auf Mutters Schoß. Wir haben aus erster Hand erfahren, wie weit sich die Realität in der deutschen Provinz von unserer Vorstellung entfernt hat.


Mit dem Deutschland, in dem wir aufgewachsen sind, haben viele der Orte, durch die wir in den letzten Tagen gefahren sind, nichts mehr zu tun. Diese Form der Integration kann man gut oder schlecht finden, sie ist in jedem Fall eine Tatsache.


Münchhausen, Rattenfänger – lauter große, deutsche Charaktere


Sonntag, 17. April 2022

Deutschland ohne e – die 5. Etappe: Frohe Ostern beginnen mit leichtem Rückenwind

Morgens durchs Tal der Weser nach Wesertal

Morgens ziemlich kühl, mittags schön in der Sonne sitzen, nachmittags im Schwimmbad.


Das Frühstück in Hann. Münden war so zwiespältig wie das Hotel: Man sträubt sich dagegen, nimmt es aber mangels Alternative hin. Am Ende hat sich sogar jeder von uns noch ein Brötchen zum Mitnehmen geschmiert und hübsch in eine Serviette verpackt.


Die ersten 40 Kilometer verliefen auf guten Wegen entlang der Grenze zwischen Hessen und Niedersachsen, in der Regel ein paar hundert Meter vom Fluss entfernt. Die Landschaft kann man als schön bezeichnen – weite Blicke, leichte Hügel links und rechts der Weser –, wäre die Vegetation schon weiter, die Temperatur höher … aber dann wären auch mehr Leute unterwegs.


Hinter Wesertal dann das Highlight zum Tage: zwei wirklich gerade geborene Osterlämmer. Mutter Schaf trug die Nachgeburt noch mit sich herum, am mobilen Zaun drängten sich sechs bis acht andere Radfahrer, filmten, knipsten, schwatzten, da machten wir ungefragt mit.


Plötzlich Mutter, eine Ostergeschichte

Ca. 15 Kilometer weiter erreichten wir Bad Karlshafen, nahmen gleich eine der ersten Bänke in Beschlag und telefonierten beim Mittagessen (Brötchen und Ei aus s.o.). Nach dem Essen entdeckten wir den Rest, das heißt: das Zentrum der Stadt. Hübsch gemacht, aber wohl auch eine der vielen deutschen Kleinstädte mit ungewisser Zukunft.


Hessen wird ab hier von Nordrhein-Westfalen als links-weserischer Begleiter abgelöst, so geht das manchmal in Dreiländerecken.


Hessens nördlichste Stadt, zieht alle(s) irgendwie magisch an


Leider liegt das Stadtzentrum nicht am Radweg, so dass wir wieder ein paar Meter zurück müssen. Dann geht es weiter durchs regionale Auenland und seine Naherholungsgebiete. Immer wieder mal links oder rechts des Ufers geschmückt von weitläufigen Caravan- und Camping-Ausstellungen.


Gegen halb zwei erreichen wir Beverungen, das mit feinen Grünanlagen und Immobilien in Ufernähe punkten kann. Außerdem wartet die Stadthalle mit illustren Fernsehgästen, wie diesem und jenem auf.


Schön am Ufer, weniger nah weniger


Das ist ganz klar der rechte Ort für unseren täglichen Affogato, also links weg vom Ufer, hinauf auf die Hauptstraße. Es ist zum Heulen: abgefuckte Läden mit allem, was der Mensch nicht braucht, provinzielle Auto-Poser, das glatte Gegenteil der feinen Uferpromenade. Beim Italiener setzen wir uns zu einem Balkanesen, der uns den gerade frei gewordenen Tisch weggeschnappt, aber nichts gegen unsere Gesellschaft hat.


Ein mutiger Schritt: Der Affogato ist der bisher beste der Tour.


Jetzt nur noch 15 Kilometer bis Höxter. Auch der Wind hat ein Einsehen mit uns, nach ein paar Kurven bläst er endlich aus der Richtung, aus der er für heute ganztägig vorhergesagt war: von hinten.


So sausen wir die weitere Weser entlang, bis sich in der Ferne links des Weges die nächsten Menschen ansammeln. Wieder sind Schafe bzw. deren österlicher Nachwuchs der Grund, diesmal hat sich die rund 30-köpfige Herde allerdings fast verdoppelt. Einige der Lämmer sind so frisch wie die zwei heute Morgen und weichen dementsprechend nicht von ihren Müttern, andere sind schon ein, zwei Tage weiter und formen den vielköpfigen Schafskindergarten, dessen Mitglieder Bocksprünge üben, meckernd im Gras liegen und sonstiges Überflüssiges tun.


Madame ist kaum mehr weg zu kriegen.


Unser Hotel ist derzeit schwer erreichbar, da Höxter und Umgebung im nächsten Jahr die Bundesgartenschau ausrichten und dafür noch die gesamte Uferpromenade und viele innerstädtischen Straßen (um)gestalten müssen. Wir sind allerdings mit dem Traktor da, wir kommen überall durch.


Das Hotel ist drei Hotels in einem, oberflächlich getrennt, unterirdisch durch lange Gänge verbunden. Wir kommen in der Mitte der Anlage an, wohnen am östlichen Ende und gehen nach dem Duschen erstmal ins westlich gelegene Schwimmbad.


Dieses Hin und Her schlaucht ganz schön, da legen wir uns bis zum Abendessen noch ein bisschen hin.


Später dann (nach ungewollter aushäusiger Restaurant-Recherche) den vorletzten Tisch in der Corbie-Stube ergattert, wo uns Rosa („Ich habe dort früher getanzt.“) aufs Spanischste bedient. Flammkuchen und Matjes sind gut, mein Niedersachsen-Teller eher Standard. Im Fernsehen läuft später „Spectre“, da sieht man, dass es auch James Bond nicht leicht hat.


Hier gibt's Städtenamen, die man nur von den Etiketten von Bierflaschen kennt