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Dienstag, 7. Juni 2022

Deutschland ohne e – was wir mitgenommen haben

13. April 2022, Aufbruchsstimmung


Man erlebt so einiges, wenn man sich auf Reisen und damit in Gefahr begibt. Hier versuchen wir, das Erlebte in Stichworten zu verarbeiten.


A

Affogato al caffè

Hatten wir irgendwie vergessen. Kam im Sommer 2021 in Volkach zurück in unser Leben. Auch dort, wo es keinen Italiener gibt, kann ihn jedes Café herstellen. Meistens lecker.


Auto

Das einzig wirklich relevante Verkehrsmittel in diesem Land. Darüber besteht Einigkeit in Nord und Süd und West und Ost.


1. Juni 2022, §1 StVO, neueste Fassung

B

Baustellen

Viele, zahlreich und überall. 30 Jahre Soli haben leider nichts gebracht. Der Osten wird immer noch auf- bzw. schon wieder umgebaut.


D

Dachziegel

Im Osten auffallend viele neu und in sehr unterschiedlichen Farben gedeckte Dächer. Fast alle in glänzender Variante. Da gab es wohl mal ein Dach-Förderprogramm ...


E

Essen

Deutsches Essen ist schwer zu finden. Es gibt Schnitzel und Bratwurst, an den Küsten Matjes, im Osten immer noch Soljanka. Überall findet man Griechen, Türken, Italiener und hippe Burgerbratereien. Der Trend geht eindeutig zu Lieferando & Co.


20. Mai 2022, wie das Land, so der Matjes

F
Fernradwege

Sind aus vorhandenen Abschnitten „komponiert“: Asphalt, (DDR-)Pflaster, Schotter, Traktorspuren, Betonplatten, Wald- und Wiesenwege – sieh' zu, wie du durchkommst.


Fischbrötchen

An den Küsten überall verfügbar. Hatten wir trotzdem nur ein Mal – in Cuxhaven –, weil mittags meist keine Bude in Reichweite war.


G

Gepäck

Zwei Taschen à 18 Liter hinten, ein neuer 12-Liter-Sack mit Regensachen obendrauf und eine Sechs-Liter-Lenkertasche reichten uns, um mehr mitzunehmen als wir tatsächlich brauchten.


Gerüche

Auf dem Land riecht der Holunder, die frische Mahd, an der Küste die See, die Schafscheiße am Deich, in den Städten der Verkehr, die Dönerbude und der Kanal am Straßenrand.


H

Hochwasserschutzanlage

Einerseits: schön zu befahren, bietet guten Aus- und Überblick, leider nicht windgeschützt. Andererseits: Deutsche sind Weltmeister im Aneinanderreihen sperriger Wörtern zwecks Bildung noch sperriger Wörter. Oder einfach gesagt: Wörterzusammensetzungsweltmeister.


3. Juni 2022, manche Wörter machen Akne


Hotels

Die gute Nachricht: Man bekommt überall im Land ein Bett. Bekannter Name oder höherer Preis sind keine Indikatoren für Qualität. Es gibt echte Highlights, und nach rund 30 Jahren hätte manches Haus im Osten eine Renovierung verdient.


I

Infrastruktur

In der Regel ist es besser, wenn man sein Brötchen und sein Wasser schon dabei hat.


J

Jesus Christus

Sieht man nach Fulda nirgendwo mehr am Wegesrand.


K

Krähen

Nicht nur das Land, auch die deutsche Vogelwelt ist geteilt. Während im Westen überwiegend diese unterwegs sind, sieht man im Osten fast überall jene. Und man sieht überall viele.


Küche

Ein heikles Thema. Wir haben einmal richtig gut deutsch gegessen, hier sehr gut und da gut österreichisch, einmal sehr gut international und einmal ausgezeichnet italienisch. Gutes Essen gab es auch in Potsdam und in Hamburg, wo allerdings der Service bedenklich war.


19. April 2022, hier bin ich deutsch, hier darf ich's sein

L
Leute

In den Orten im Osten sieht man kaum jemand. An der Küste und in den Städten umso mehr. Wo es geht – Fähren, Frühstück, Ampeln –, drängelt man sich gerne vor.


M

Menschen

An wen wir uns gern erinnern: Der Italiener in Verden, der sich nicht mehr an Affogato erinnerte, die Avis-Leute in Bremen, unsere schwulen Gastgeber in Wremen, Angelo, der uns bei Tschebull bediente, der Italiener im Café Forum in Kühlungsborn, die Drecknecks am Abend und der Mann am nächsten Morgen in Rostock, die Rezeptionistin in Plaue, das Paar auf der Bank vor dem Aquädukt und der junge Mann in der Baustelle in Magdeburg („Sie kommen hier durch.“), die Orion- und die Bäckereifrau in Dessau.


Mohn

Gab es reichlich zu sehen, im Osten sogar große Felder. Er wird für Mohnkuchen gebraucht, der überall gut war.


N

Natur

Wer auf Radwegen fährt, erlebt viel Natur. Entlang landwirtschaftlicher Flächen, durch Naturschutzgebiete, an den Küsten, Deichen und Ufern. Wenig Wald, viele Äcker, viel weite Fläche. Rehe, Störche, Kuckucke, Frösche. Und überall lauern Mücken.


Navigation

Unsere Route hatten wir aus öffentlich zugänglichen GPS-Daten erstellt. Diese Daten waren wohl älter als gedacht, leisteten deshalb nicht, was nötig bzw. gewünscht gewesen wäre.


27. Mai 2022, in vielen Fällen der bessere Radweg

O
Orte

Was uns beeindruckt hat: das Sinn-Tal, der Bunker Valentin, das Stadtbremische Überseehafengebiet Bremerhaven, das Wattenmeer, die Elbmündung, der Tunnel nach Lübeck, der Zaun um das Grand Hotel Heiligendamm, das Naturschutzgebiet an der Havel.


Ostzone

Die Ostzone lebt. Wer die Grenze überschreitet, kann eine völlig andere Welt entdecken. Am Ende kamen wir von Dessau zurück nach Deutschland.


P

Pannen

Abgesehen von zeitweisen Problemen mit der Schaltung sind wir pannenfrei durchs Land gekommen. Und das seit inzwischen knapp zwei Jahren mit allen Rädern. Freuen wir uns also auf die Champagne – in Kürze.


R

Radwege

Generell ist der Radweg eine Illusion. Es geht nicht darum, den Ausflügler oder Radreisenden  mit romantischen Strecken zu beglücken, sondern darum, die Radfahrer von der Straße zu holen, damit der (Auto)Verkehr dort ungestört fließen kann.


Regen

Hat uns weitgehend verschont. Richtig heftig war's in Kühlungsborn, wo uns der freundliche Italiener von der Straße geholt hatte, bevor es schüttete und hagelte.


S

Sättel

Nach dieser Tour wissen wir: Die Umrüstung von Leder- auf Cambiumsättel war eine sehr gute Entscheidung.


Service

Gibt es auch im Osten, ist aber nicht weit verbreitet. Wie sagte der Sixt-Mann in Dessau: „In meinem nächsten Leben mach' ich nix mit Dienstleistung, da biste immer der Gelackmeierte.“


Städte

Wir haben tolle Städte gesehen: Bremen, Hamburg, Lübeck, Wismar, Potsdam. Und andere: Duhnen, Cuxhaven, Kühlungsborn, Brandenburg an der Havel, Zerbst, Dessau.


15. April 2022, Rotenburg an der Fulda, Deutschland West

31. Mai 2022, Brandenburg an der Havel, Deutschland Ost


Streckenabweichung

Diesen Hinweis zeigten unsere Garmins am häufigsten. Besonders gerne dann, wenn sowohl die Schilder am Weg als auch das Display selbst uns auf dem richtigen Weg verorteten.


T

Technik

Der Umbau kurz vor Aufbruch zum zweiten Teil war einerseits nötig, andererseits falsch. Die neuen Komponenten harmonierten nicht mit den alten. Aber die Schaltungen brauchte man gerade an der Küste, weil es da ziemlich rauf und runter geht.


Tourismus

Eine Pest wie überall. Man wundert sich, wie viele Gegenden Deutschlands „vom Tourismus leben“. Außerdem sieht man, dass Nord- und Ostsee von dem Ansturm genauso zerstört werden, wie die Küsten von Spanien, Italien, Griechenland usw. Nur die Preise sind höher.


U

Umleitungen

Zu viele, zu oft ins Nirvana. Wer nur in Auto-Dimensionen denkt, der setzt auch auf Radwegen Fünf- oder Zehn-Kilometer-Umleitungen an. Da müssen Radfahrer, die längere Strecken bewältigen wollen, auf die Landstraße ausweichen.


V

Verkehr

Auf den Radwegen war sehr wenig Verkehr, nur um die Städte und die Küsten wurde es mehr. Vielerorts sehr aufmerksame Autofahrer, wenig Grund zur Aufregung.


31. Mai 2022, westlich von Potsdam ein Wassermärchen

W

Wasser

Main, Saale, Sinn, Fulda, Werra, Weser, Nordsee, Elbe, Trave, Ostsee, Warne, Havel und viele Seen. Da macht man viele Wasser-Bilder.


Westwärts

Nach unseren Erfahrungen im Norden und Osten werden wir die für dieses Blog namensgebende Richtung künftig wieder bevorzugt ansteuern.


Wetter

Es war eindeutig zu kalt. Im ersten Teil hatten wir noch warme Sachen mit, auf die niedrigen Temperaturen im zweiten Teil waren wir schlechter vorbereitet.


Wind

Der Wind war im ersten Teil sehr demoralisierend, hat aber auch im zweiten keinen Spaß gemacht – unabhängig von der jeweiligen Richtung. Aber wie sagte Rudolf Pallesen: „Wer keinen Wind mag, sollte nicht in den Norden fahren.“


Z

Ziegelsteine

Verbindendes Element von Fulda über Bremen, Hamburg, Lübeck, Rostock und Potsdam bis nach Dessau. Meistens rot, manchmal gelb, je nach Entstehungsdatum feiner oder dicker.


29. Mai 2022, die Holländer in Potsdam: lecker Koffie und vor jedem Haus ein Auto

Sonntag, 5. Juni 2022

Deutschland ohne e – coming home

In Dessau ist auch der Mietwagen ein Erlebnis


Irgendwann heißt es Abschied nehmen. Wir machen das heute, denn an Pfingsten wird überall wieder der Teufel los sein.


Beim Frühstück unterhält sich ein älteres Ehepaar (nein, nicht wir) mit der Kellnerin: „Woher kommen Sie denn?“ „Aus Armenien.“ „Da waren wir noch nicht.“


Wir packen schön zusammen, lassen alle Taschen im Zimmer und machen uns auf zur Autovermietung, die im gleichen Immobilienkomplex residiert wie unser Hotel. Die Station ist samstags ab acht Uhr geöffnet, an der Tür hängt eine Telefonnummer, über die man den Mitarbeiter erreichen kann. Bevor wir uns aufregen können, erscheint drinnen ein Mensch, der uns öffnet und dann das Schild umdreht.


„Haben Sie reserviert? Ich kann nichts machen. Der Kollege, der sonst hier ist, hat mich heute Nacht angerufen, er hat eine Lebensmittelvergiftung. Natürlich bekommen Sie Ihr Auto, aber das System ist offline, ich muss das alles per Telefon machen. Und das Auto ist nicht sauber.“


Mit uns kam ein junger Mann, der einen bestimmten Audi reserviert hat. Später kommt ein weiterer Mann, der reserviert hat, und zwischendurch noch ein vierter Kunde (mit Frau und Dackel im Auto), der vergebens nach einem Transporter fragt.


Der Sixt-Mann muss zwischendurch nach den Autos sehen, alle müssen in der Passage warten. Da rollt die Nachbarin an. Eine füllige Spätdreißigerin im objektiv etwas zu engen, schwarzen Einteiler, die missmutig ein Display durch den Gang auf den angrenzenden Fußweg zieht: Erotisch shoppen – ORION.


Auch das große Haus schräg gegenüber passt gut in unser Stadt-Bild: neu erbaut und überall dort, wo ursprünglich mal Austritte oder Balkone geplant waren, mit Spanplatten vernagelt, weil dem Bauherrn das Geld ausgegangen war.


Gegen halb elf gibt's dann tatsächlich ein Auto für uns. Innen wie aussen stark verschmutzt, aber wer einen Fluchthelfer aus der DDR braucht, darf keine großen Ansprüche stellen.


Auf dem Weg zur Autobahn noch ein sehr versöhnlicher Abschluss der Tour: Beim Bäcker im EDEKA Pollmer gibt's Mohnzopf, Mohnstreusel UND Eierschecke. Wie sagt die Verkäuferin: „Pfingsten ist gerettet!“


Die Autobahn ist auf den folgenden 350 Kilometern weitgehend leer, zumindest in unserer Richtung. Auf der Gegenseite stehen die Ostseeurlaubsanwärter in sehr langen Schlangen. Die gekauften Backwaren erweisen sich alle als sehr gut.


Wir sind gegen halb vier zurück, räumen das Auto aus, machen uns frisch und stellen den Opel um halb sieben in Würzburg am Hauptbahnhof ab. Von dort fahren wir nach Iphofen, wo es Spargelsalat und Wallerfilet bzw. Spargelcrèmesuppe und Kalbsrückensteak – natürlich – mit Spargel gibt.


Hier gibt's demnächst unser Fazit zu knapp 2.000 Kilometern in Nord- und Ostdeutschland.


Zum guten Schluss noch ein bisschen draußen essen in Iphofen – all's well that eats well

Freitag, 3. Juni 2022

Deutschland ohne e – die 21. (und letzte) Etappe: Armes Deutschland

Wo es etwas gibt, stellen sie sich – wieder – an


Heute war so schönes Wetter. Hat aber auch nichts genützt.


Das Frühstück im Hotel war ordentlich, die Ausfahrt aus der Stadt ging ganz gut. Am Ende haben wir es geschafft und uns entlang der Elbe und ihren Hochwasserschutzanlagen davongemacht.


Noch vor Elbenau fing der Ärger mit dem Weg wieder an: unbefahrbares Kopfsteinpflaster mit schmalen, teils gefährlich schmalen Nebenspuren aus Sand, ebenso schmale Traktorenspuren mit Bewuchs in der Mitte und Gestrüppüberhang rechts und links. Einfach zum Verzweifeln.


Egal, wo man hier „fährt“, die Gefahr fährt mit


Danach kam bei Elbenau noch eine Sperrung mit größerem Umweg, da haben wir uns fürs erste vom Radweg verabschiedet und sind auf die Landstraße ausgewichen.


Über Plötzky und Pretzien fuhren wir in südwestlicher Richtung weiter, ab Prödel wurde die asphaltierte Landstraße innerorts wieder zur „gepflasterten Straße“. Und so ging es weiter, das richtige Framing ist alles.


Auf dem Weg nach Zerbst machten wir in Güterglück Mittagspause mit Blick auf den hiesigen Teich bzw. seine etwas schlappe Fontäne. Gegenüber ein verlassenes „Getränke-Paradies“, dessen Fenster der letzte Betreiber mit Stofftieren und anderen Figuren geschmückt hinterlassen hat: Duracell-Hasen, ein großer Schneemann, ein großer Weihnachtsmann, eine große Hexe – man denkt unwillkürlich an den Friedhof der Kuscheltiere.


Kryptischer Hinweis am längst geschlossenen Getränkemarkt


In Zerbst war dann Einkaufen angesagt. Vier Flaschen Wasser und zwei Birnen für den Rest des Tages und die Rückfahrt morgen. Das Setting bei Kaufland kann man sich düsterer kaum ausdenken: sichtbar mittellose Menschen, körperfüllige Menschen, Menschen, die gegenüber anstehen, weil es wohl etwas (günstig?) gibt, was es sonst nicht (günstig?) gibt.


Die gute, alte DDR feiert fröhliche Urständ.


Und natürlich werden wir bei unserer weiteren Streckenplanung abgehört. Das merken wir, als wir uns die Frage stellen, ob wir „da hinten rauskommen“ und die zigarettenpausierende Kaufland-Mitarbeiterin freundlich „kommen Sie“ über die Fahrradständer sagt.


Zerbst kann auch anders, hier seine Schokoladenseite


Wir folgen ihrer Expertise südwärts, fahren auf wunderbar asphaltierter Landstraße zuerst nach Lebs, nach Steckby und nach Steutz, um letztendlich die Fähre nach Aken zu erreichen. Vor der Überfahrt sprechen wir noch mit Brüdern und Schwestern im Geiste, die ebenfalls an den vermeintlichen Radwegen verzweifeln.

Die weitere Strecke folgt der Dessauer Landstraße, am Ende hilft uns ein junges Pärchen beim Finden unseres Hotels. Auch hier hat der Name starke Abnutzungserscheinungen infolge Abnutzung. Den Teppichboden unseres Zimmer ziert z.B. das sichtbare Zeugnis eines verschütteten Kaffees. Vom zentralen Ereignis hin zu den peripheren Begleiterscheinungen.


Nach Dusche und Ruhe machen wir uns auf zum Essen. Das Dessauer Brauhaus kennen wir noch von unserem letzten Besuch. Der Biergarten ist unverändert, die Umgebung leider auch. Bier und Essen sind ok, um halb zehn sind wir zurück im Hotel.


Unsere Tour geht damit zuende. Den Luther-Teil, von dem sie eigentlich ausging, werden wir wohl nicht mehr angehen. Morgen fahren wir nach Hause und erstellen über Pfingsten ein Glossar der Reise. Vorher schlagen wir uns noch mit Sixt rum.


Heute keine Wasserbilder.


85 Kilometer vom deutschen Handballmeister 2022 zum Bauhaus

Deutschland ohne e – die 20. Etappe: Wir strengen uns an, alle anderen auch, irgendwie

Nicht nur in Afghanistan wird mit Mohn Geld verdient


Wer hätte das gedacht: unsere längste Etappe auf dieser Tour.


Nach diesem Frühstück fällt der Abschied aus unserem Hotel noch schwerer. Wir reden noch kurz mit einem anderen Radfahrer-Paar, das sich auf einer Runde um Berlin abstrampelt, dann geht es bergab an die Elbe.


Schon nach wenigen Kilometern fähren wir bei Sandau über den Fluss, dann kürzen wir ein bisschen durchs Gewerbegebiet ab. Wir wollen ja bis Magdeburg kommen.


Bis Tangermünde läuft es ausgesprochen gut. In der Einfahrt kaufen wir noch was ein, dann ereilt uns eine Baustelle. Das senkt erstmal die Stimmung, die Stadt macht den ersten Eindruck aber schnell mehr als wett.


Du gommst hier nisch dursch

Durch die Elbauen im Süden der Stadt fahren wir weiter. In Bittkau machen wir nach 54 Kilometern am Heldenplatz für beide Weltkriege Mittagspause. Bei Bertingen sind sich dann Nord- und Südsee so nah wie nirgendwo sonst auf der Welt.


Wir trinken am örtlichen Campingplatz einen sehr guten Affogato, dazu gibt's Mohnkuchen, und kurz drauf erreichen wir über eine größere, für Radfahrer natürlich gesperrte Baumaßnahme, die Fähre bei Rogäz, wo uns der Fährmann freundlich für voreiliges Befahren der Fähre rügt.


Wer diesen Job macht, muss Humor haben, anders könnte er den Tag nicht überstehen.


Manchmal braucht man einen Übersetzer

Ahnungslos wie wir nun mal sind, fahren wir danach munter auf eines der größten Wasserbauwerke zu: den Mittellandkanal, der die Ems über die Weser mit Elbe und Havel verbindet. Bei Magdeburg stehen wir dann plötzlich an einem Aquädukt, wie wir ihn im Prinzip von der Loire kennen.


Allerdings in einer Größe, wie wir es uns nicht hätten vorstellen können.


Irgendwann ist genug gestaunt, nur ein, zwei Ecken weiter beginnt die große Straße durch das Gewerbegebiet, das unsere Einfahrtsschneise nach Magdeburg sein soll. Wir sind fast am Ziel.


Denkste!


Wer eine Jahresendfigur hat(te), braucht auch eine Hochwasserschutzanlage

Die Stadt Magdeburg, ohnehin von einer leistungsfähigen Eisenbahnlinie im Kern geteilt, hat sich entschlossen, diese Teilung weiter voranzutreiben. Und Google weiß absolut nichts davon.


Bis zur Ernst-Reuter-Allee geht alles glatt, dort treibt uns die dritte Baustelle dieses Tages endgültig zur Verzweiflung. Google schickt uns links, wo nur rechts möglich ist. Google schickt uns zurück, wo wir geradeaus weiter müssen. Das kostet Nerven und Zeit, und von beidem ist nach mehr als 100 Kilometern kaum noch etwas übrig.


An der richtigen Stelle kann Wohnen sehr schön sein, auch in Magdeburg

Viel später als erwartet kommen wir dann doch am Hotel an und haben wenigstens noch die Zeit, uns ein bisschen frisch zu machen, bevor wir an den Tisch dürfen. Das Haus hat seine besten Tage schon länger hinter sich. Das Restaurant ist geschlossen, hier wird nichts mehr investiert, nur noch ertragen.


Das Essen im „Partner-Restaurant“ gegenüber war einerseits in Ordnung – gemischte Antipasti für zwei, 1x Tagliatelle mit Seezunge, 1x Fasanfilet mit Papardelle und Gemüse, Zabaione für zwei –, andererseits kann man sich einem der Tripadvisor-Advisors voll und ganz anschließen: „This was a bit of a strange experience.“


Gut gelaufen, bis Magdeburg

Mittwoch, 1. Juni 2022

Deutschland ohne e – die 19. Etappe: Unterwegs mit Erfrischungen

Wer ständig an Flüssen und Küsten rumfährt, darf sich über Wasserbilder nicht wundern

Irgendwie ist das hier überall immer noch ziemlich ostzonal.


Die Tassen und Müslischalen beim Frühstück sind stapelbar, das Besteck gewichtslos, alle anderen Frühstücker sehen ganz anders aus als wir. Aber die Brötchen sind nicht schlecht.


Wir schaffen es, dem sich ankündigenden Regen davonzufahren. Auf guten Wegen rechts der Havel erreichen wir Pritzerbe, wo wir die Fähre um Haaresbreite verpassen. Langes Warten wollen wir uns ersparen, nehmen wir doch einfach die Landstraße nach Rathenow und kürzen dabei noch ein gutes Stück ab.


Die deutsche Verkehrspolitik in einem Satz – Reschpeckt!

Entlang der B102 erreichen wir Premnitz und kaufen bei Edeka am trostlosen Marktplatz fürs Mittagessen ein. Am Rande der gleichen Bundesstraße geht es nach Rathenow, wo wir erst drei – noch oder wieder – sturzbetrunkene Fußgänger mit Rollkoffern überholen und dann eine Unterführung meistern müssen, die wohl für den ICE nach Berlin gebaut wurde, dessen Gleise heute die Stadt teilen.


Vielleicht gibt es ja hierzulande in Sachen geteilte Stadt so was wie ein Trauma ...


Hinter Rathenow finden wir zurück auf den Radweg. Die Umgebung wird wieder sehenswert, leider vermutet Petrus Wassermangel bei uns und gibt uns für einige Kilometer eine Wolke als steten Quell der Erfrischung mit.


Der Strand am Biwakplatz (vor dem Regen)


So erreichen wir Grütz mit seinem großzügigen, komplett ausgestatteten Rastplatz. Ein anderer Radreisender packt gerade seine Siebensachen und klärt uns darüber auf, dass es sich hier um einen Biwakplatz handelt, von denen es im Osten und speziell in Brandenburg sehr viele gibt.


Für 2,50 Euro pro Nase kann man hier übernachten, grillen, Strom und Wasser abzapfen und bei wärmeren Bedingungen in der Havel baden. Holz ist vorhanden, zwei Dixi-Klos gibt es auch. Wir sind sprachlos und machen Mittagspause. Kleiner Wermutstropfen: Nicht weit entfernt befindet sich ein Truppenübungsplatz, der unser Essen mit Salutschüssen begleitet.


Nachdem wir fertig sind, fängt der Regen an. Wir bleiben also noch ein bisschen, fahren mit nachlassendem Regen weiter und sind in Warnau und Garz überrascht, wie schön Orte im Osten erhalten und restauriert sein können. Ob das hier alles noch in ostdeutscher Hand ist? 


Garz und wie die Welt es sah

Der restliche Weg führt ziemlich geradeaus und gegen einen spürbaren Nordwestwind. Aber das stählt den kleinen Körper, und so sind wir am Ende überrascht, dass der Weg bergauf zum Hotel, der uns von unserem ersten Besuch noch in ganz steiler Erinnerung ist, kaum der Rede wert ist.


Wir checken ein, verstecken unsere Räder auf der Terrasse vor dem Zimmer, da erinnert sich Petrus an uns. Zweimal donnert, blitzt und schüttet er überflüssiges Wasser auf Havelberg. Wir duschen, ruhen und speisen nach halb acht österreichisch und gut im Hotelrestaurant.


Einer der schönsten deutschen Radwege geht zu Ende