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Samstag, 3. Juni 2023

La France avecque ... l'hébergement de haute qualité

Herzlich willkommen bei Rutsch & Staub


2. Juni 2023


Das Frühstücks-Publikum im Hotel ist heute irgendwie besonders. Charles und Camilla sind da. Ein Kleinkind mit Eltern sitzt hinter uns und nimmt engagiert am Leben teil. Viele machen einen verstörten Eindruck. Vielleicht liegt es an der Temperatur und am Wind, draußen ist es ziemlich kalt.


Bevor wir losfahren, ziehen wir uns also erstmal noch ordentlich was drüber, dann bitten wir Garmin, uns zum EuroVélo zu leiten, und das macht er: Zwei Straßen vom Hotel entfernt schickt er uns nach rechts auf einen Pfad, der an riesigen Disteln vorbei steil bergab führt. Und hast-du-nicht-gesehen sind wir am Wasser, überqueren die nächste Brücke und fahren andererseits westwärts.


Hinter Chailles geht es plötzlich steil bergauf, oben rechts ab und quasi felgentief in den Sand. Da wird das Geradeausfahren zum Risikosport, da wünscht die Gattin all diese Radwege-Planer zur Strafe auf die Strecke(n), die sie planen. Mit normalen Rädern, reichlich Gepäck, wenig Schaltung. Und das mindestens eine Woche lang bei 80 Kilometern pro Tag.


Diese Franzosen – einer plant den Weg, der andere die Dekoration


Auch Chaumont-sur-Loire lebt von seinem Schloss und tut wirklich alles, um den vorbei fahrenden Fremden den Euro aus der Tasche zu ziehen. Schließlich ist die Konkurrenz aus Orléans, Amboise usw. groß, und wer sein Geld nicht hier ausgibt, der erhöht anderswo die Gewerbesteuereinnahmen.


An dieser Stelle müssen wir übrigens mit großem Bedauern feststellen, dass sich der aktuelle Bundesfinanzminister gestern aus der Finanzierung unserer Reise verabschiedet hat. Die uns aus den Steuereinnahmen 2022 überlassenen Bundesmittel sind verbraucht.


Ballade en bateau bei Chaumont-sur-Loire


Auf den Schreck futtern wir erstmal eine Banane und zwei Croissants, dann fahren wir bis Amboise immer wieder auf und ab und kommen durch alle Arten von Umgebungen: Gewerbe, Landwirtschaft, Siedlungen – einfach alles, was man sich vorstellen kann. Kurz hinter der Ortseinfahrt von Amboise fängt zudem eine Serie von Informationstafeln über die Stadt und ihre Geschichte an.


Aber deswegen verläuft bzw. verfährt sich ja niemand hierher. Alle wollen das sehen, was unten am Loire-Ufer steht: Schloss, Leonardo da Vincis Grab, die Altstadt.


Hinten der alte Stadtturm, vorne die neuen Geldquellen von Amboise


Wir fahren natürlich auch hinunter zum Fluss. Es ist halb eins, da wird es Zeit fürs Mittagessen. Am Ufer sehen wir viele der Radfahrer wieder, die wir heute bereits auf der Strecke gesehen haben. Überwiegend Pärchen, überwiegend gut motorisiert, wenige mit Gepäck. Wir nehmen an, dass die meisten irgendwo einen festen Standort haben (Hotel, Gîte, Camper) und nun mit geliehenen Rädern die Gegend unsicher machen.


Mittags im Séparrée in Amboise


Man hört viel deutsch, noch mehr englisch. Es sind überraschend wenige Asiaten da. Als ich höre, wie sich einige über lange Schlangen vor und hohe Eintrittspreise an den Kassenhäuschen beschweren, fallen mir ein Lied und daraus vor allem zwei Textzeilen ein (hier das Video mit Untertiteln zum Mitbrummen):


The obsession's in the chasing and not the apprehending
The pursuit you see and never the arrest


Irgendwann ist alles gesagt, gesungen und gegessen. Wir fahren weiter auf sehr guten Wegen und erleben eine bisher nicht gekannte Infrastruktur. Nach jeder zweiten Kurve stehen Bänke und Tische am Weg, teilweise sogar im Schatten, was der inzwischen wieder auf das bekannte Niveau gestiegenen Temperatur etwas von ihrem Schrecken nimmt.


Patisserie à Montlouis centre ville

Mit der Einfahrt in Montlouis-sur-Loire sehen wir die ersten nennenswerten Weinlagen an der Loire. Es geht weiter viel rauf und runter, in der Patisserie im Zentrum gönnen wir uns die dringend benötigte Zucker-Ration.

Den Winzer, dessen Wein wir in Orléans getrunken hatten, besuchen wir nicht. Der Vater ist letzte Woche verstorben, da werden sie anderes zu tun haben, als mit uns über Wein zu reden.

Tours de France


Wir fahren weiter Richtung Tours, das wir gegen halb vier erreichen. An der Rezeption ein schmales, männliches Fiasko. Da stellt die Hotelkette ans Ende der Fußgängerzone zwei moderne Klötze. Da werden wir als „valued guests“ empfangen, und dann gibt es nicht mal eine Steckdose fürs Aufladen der Räder.


Nach moderatem Protest auf Französich, ruft der Rezeptionist beim Kollegen gegenüber an, der aber auch keine Steckdose übrig hat. Wir überlegen draußen, ob wir stornieren und auf ein anderes Haus ausweichen sollen, aber dann gehe ich doch nochmal rein und sage ihm auf Englisch sehr deutlich, was ich von ihm, der Hotelkette und den fehlenden Service-Bemühungen halte.


Ich lerne: Englisch regiert die Welt.


Denn plötzlich fällt dem Kollegen ein, dass er ja direkt hier an der Rezeption eine Steckdose und sogar den nötigen Platz für die Räder hat. Unter diesen Umständen behalten wir das sehr günstige Zimmer und ziehen uns zum Duschen und Ruhen zurück.


Als wir zum Stadtbummel aufbrechen, sind die Räder geladen. Wir machen die Ladegeräte ab und lassen die Räder an der Rezeption stehen. Als Mahnmal für spätere Generationen von Rezeptionisten.


La cathédrale aus nächster Nähe

Wie nahezu überall an der Loire bisher, erkennen wir auch in Tours nichts wieder. Die Stadt ist viel größer als in unserer Erinnerung, anders als in Deutschland gibt es im Zentrum viele kleine, interessante Geschäfte. Der Verkehr ist beachtlich, auch hierzulande wird das Auto bei jeder Gelegenheit als Mittel zur Demonstration eigener Stärke benutzt.


So schlendern wir die Straßen entlang, besuchen die Kathedrale, schauen Schaufenster und kaufen einen Ersatz für den gebrochenen Flaschenhalter aus Folge 5. Der Hunger ist ein ständiger Begleiter, wir finden das Café de la poste als empfehlenswerte Adresse, leider finden wir es nicht an der auf dem Bildschirm angezeigten Stelle.


Nach der dritten Umrundung des kleinen Karrees rufe ich nochmal an, der Wirt dirigiert uns und am Ende spricht er so laut, dass wir ihn über den Platz weg hören können. Die Adresse stimmt, die Anzeige auf dem Telefon ist Blödsinn. Das Essen ist besser als der Wein, die Stimmung ist trotzdem gut.


Und weil wir beim Apéritif gerne den nächsten Tag planen, machen wir auch noch das Hotel in Saumur für morgen klar. Auch das ist nicht einfach, denn der Kollege am Telefon versteht trotz zweimaligen Wiederholens: nichts. Er übergibt an eine Kollegin, die vorgibt, Deutsch zu sprechen. Leider spricht sie nur so viel Deutsch wie wir z.B. Griechisch.


Ich wiederhole also alles ein drittes Mal, und siehe da, jetzt klappt es. Die Bestätigung kommt schnell, wir nutzen den Vorab-CheckIn und nur eine Stunde später schickt uns Accor wieder eine Mail. Diesmal mit dem Hinweis, dass wir doch den Vorab-CheckIn nutzen könnten. Es ist zum Davonlaufen.


Abends im Vergnügungsviertel von Tours (es ist später als man denkt)


Das machen wir auf der Stelle, und plötzlich erkennen wir Tours wieder. Denn wie es sich für Touristen gehört, durchqueren wir auf dem Weg zurück zum Hotel das hiesige Touristen- und Vergnügungsviertel. Genau so hatten wir die vermeintliche Kleinstadt am Fluss in Erinnerung! Unten an der Loire spielt ein Trio 20er-Jahre-Gitarrenmusik. Ein älterer, etwas abgewrackter  Zeitgenosse, den wir im Lauf des Abends bereits mehrfach gesehen haben, steht am Bühnenrand und amüsiert sich prächtig.


Ein Schloss kommt selten allein