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Dienstag, 19. Juli 2011

16.07. 1ère étape: Altkirch–Hyèvre-Paroisse (98,36 km, 5:06:19) Baignade interdite!

„Haben Sie was dagegen, wenn ich in Ihrem Windschatten fahre?“

Beim Abendessen hatten wir noch überlegt, heute einen Ruhetag einzulegen, der Blick auf die Wettervorhersage lässt uns eine andere Entscheidung treffen. Denn heute wird das Wetter gut, der Regen kommt erst morgen. Und wenn's am Abend schön wird, ruhen wir halt morgen.

Bis Dannemarie bleiben wir auf der Landstraße, am Super U kauft Mo das Nötigste fürs Mittagessen: Baguette, Käse, Bananen, Joghurt und natürlich Wasser und Apfelsaft. Die Wartezeit nutze ich, um mich beim Leergut-Mann über Pfand und Preise der weit verbreiteten Gasflaschen zu informieren. Mit gepackten Taschen geht's zurück auf die Kanalstrecke, der gestrige Tag steckt uns spürbar in den Knochen, und es geht von Anfang an mehrere Kilometer leicht aufwärts.

Positive Erinnerung am Ortsausgang.
Da macht man sich um seine Sprachkenntnisse keine Sorgen mehr.

Die Strecke ist schön wie am Tag zuvor, die Temperaturen steigen, wir fahren an diversen Montreux vorbei und treffen kurz vor Sochaux auf den Doubs.

La vie est un long fleuve tranquille.
13,5 Millionen für 135 km, hier wurden EU-Gelder mal richtig gut angelegt.

Im Rahmen einer Pinkelpause stehen wir Aug' in Aug' mit VertreterInnen der hiesigen Rindviecher und können erfreut feststellen, dass wir uns auch um deren Fortbestand keine Sorgen machen müssen:


Kurz danach streifen wir Montbéliard, langsam wird es Zeit fürs Mittagessen. Bei Voujeaucourt kapern wir eine Bank in der Sonne, die während unserer Pause Helme, Handschuhe, Trikots, Sohlen und Socken trocknet.

Irgendwann kommt eine Frau in unserem Alter mit ihrer Enkelin per Fahrrad vorbei, sie setzen sich auf die Bank nebenan, wünschen guten Appetit und man wechselt ein paar Worte. Am Ende kommt heraus, dass sie aus Colmar stammt und seit nunmehr fast 40 Jahren hier im Ort wohnt. Ihr Elsässisch ist völlig anders, als wir es aus Strasbourg und Umgebung kennen, und vor allem für das Mädchen ein ungewohntes Vergnügen. Sie lacht sich kaputt, weil Oma diese fremde Sprache spricht.

Bei Colombier-Fontaine führt der Radweg auf die Straße und über einen Berg, den ich später gegenüber zwei Rennradlern als „mont“ bezeichnen und damit auf Unverständnis stoßen werde. Nach einigen Überlegen weiß einer der beiden zumindest, was ich meine, und ist bereit, die Erhebung als „petit montagne“ zu akzeptieren. Den würde ich gerne mal mit 30–40 kg Gepäck am Anstieg sehen.

„Verweile doch, du bist so schön.“

Die nächste größere Station ist L'Isle-sur-le-Doubs, wo wir bei Super U Flüssigkeit nachtanken. Schon über unser Ankommen freut sich ein Mann unseres Alters mit junger Begleiterin, während ich einkaufe, spricht er Mo an, outet sich als Fahrrad-Experte und erklärt, dass er mit seiner 18-jährigen Patentochter deren erste längere Radtour unternimmt. Mo hat wohl wieder die ganze Schwere ihres Lebens in die Waagschale geworfen, denn zum Abschied schenkt er ihr einen Schokoriegel.

Ich will dem Fremden in nichts nachstehen und lade meine Frau auf ein Eis an der Doubs-Brücke ein. Gegenüber wird geheiratet, recht spazieren Vater und Sohn im knietiefen Wasser in der Flussmitte.

Auf dem Weg nach Clerval.
Friedhof mit Aussicht bei Dompierre-sur-Doubs.

Direkt hinter Pompierre-sur-Doubs ist der Weg neu angelegt, frisch geschottert und dementsprechend schlecht zu fahren. Wir sprechen mit einem entgegenkommenden Alleinfahrer über den Weg, der uns erwartet, plötzlich taucht hinter uns eine stabil gebaute Mittvierziegerin auf, die sehr gut Französisch spricht und die Konversation fortsetzt als wir uns verabschieden.

Bei unserem nächsten Stop ist sie wieder da: helle Bermudas, Sandalen, leichtes Polohemd, solides Tourenrad, vorne und hinten gut bepackt – die Dame, nennen wir sie Brunhildegard, ist der Prototyp einer Französischlehrerin auf Bildungsurlaub. Ich höre, wie sie Mo fragt, ob sie in unserem Windschatten fahren darf, der Gegenwind sei ja so stark. Wir willigen ein, denn wir wissen, wie anstrengend das Fahren gegen den Wind ist.

Zwischen Clerval und Roche-lès-Clerval müssen wir wieder mal  a) steil aufwärts und  b) auf die Straße ausweichen. Unsere Anhängerin lässt sich bergauf durchaus Zeit, kommt in der Ebene aber sehr gut mit. Der Rückweg an den Kanal geht am Ende mit etwa 15 Prozent Gefälle aufs Ufer zu, und direkt im Scheitelpunkt der abschließenden Linkskurve steht das rote Schild mit den großen, weißen Lettern: BAIGNADE INTERDITE!

Bis weit nach vorn höre ich Brunhildegards glockenhelles Lachen. Recht hat sie, denn wer hier nicht beide Bremsen in der Hand hat, geht baden, ob er will oder nicht.

Unser Hotel kann nicht mehr weit sein, wir haben in Hyèrve-Paroisse reserviert, einem Ort kurz vor Beaume-les-Dames. Zwei Kilometer nachdem wir Hyèrve-Magny passiert haben, rollt Brunhildegard entspannt an meine Seite und fragt, ob wir nicht schon ans andere Ufer hätten wechseln müssen. Ich bestätige, dass ich selbst schwer verwundert sei, aber keine Hinweise gesehen hätte. Wir stoppen einen entgegenkommenden Rennradler, der bestätigt, dass Hyèrve-Paroisse direkt gegenüber Hyèrve-Magny liegt.

Also heißt es Abschied nehmen. Ich frage höflich, woher sie kommt und wohin sie will, Antwort: in die Bretagne und heute morgen um fünf in Freiburg losgefahren. Wir lassen uns nichts anmerken, aber der Schrecken sitzt tief. Die Frau hat in einem Tag bewältigt, wofür wir zwei gebraucht haben! Und sie fährt einfach weiter!!

Unsere Strafe folgt auf dem Fuße – wir erreichen unser Hotel.

Das Haus wird im Logis-de-France-Führer mit drei Kaminen und drei Töpfen bewertet, d.h.: überdurchschnittlicher Komfort und sehr gute Küche. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Schuhkarton aus Beton (der an einigen Stellen bereits in größeren Einheiten abgeplatzt ist), aber die Michelin-Empfehlungen der vergangen vier Jahre versprechen zumindest ein schönes Abendessen.

Das Zimmer ist bitter. Im Waschbecken wohnen noch die Haare des Vormieters, auf den Kacheln links davon warten Seifenspritzer der letzten zwei Jahre auf die Spurensicherung. Der Balkon ist dreckig, das Geländer verrostet, der Teppichboden hätte vor mindestens drei Jahren ausgetauscht werden müssen.

Um halb acht sind wir wieder unten, die Chefin Maria-Flora (100+ kg) fragt, ob wir rauchen, als wir verneinen, befiehlt sie uns in die hinterste Ecke der Terrasse, weil vorne alle rauchen. Alle, das sind sie und ihr Gatte Pierre Cossu (150+ kg) sowie vier britische Biker, die Karten spielen. Wir setzen uns etwas abseits, bestellen zwei Apèritifs (Pontarlier und Macvin) und lesen ein wenig Speisekarte. Am Briten-Tisch entschuldigt sich inzwischen die Kellnerin, dass sie Bier nicht in größeren Gläsern anbieten kann.

Da die Schweinefüße nur tischweise serviert werden und Mo so etwas nie essen würde, weiche ich auf die gebratene Entenleber und das Filet vom Montbéliard-Rind aus, Mo nimmt jeweils eine Trilogie von Vor- und Hauptspeisen. Mein Essen ist ganz OK (leider ertrinken sowohl die Leber als auch das Rinderfilet in Soße), aber das Drumherum stimmt hinten und vorne nicht: Weiß- und Rotwein zu Vor- und Hauptgang werden parallel serviert, das Besteck eignet sich weniger als Esswerkzeug, dafür umso mehr als Metall-Mikado.

Mo kriegt parallel alles, was sie nicht mag: Hechtfilet in Bleu-de-Gex-Panade, Melone mit grob geschnittenem, rohen Schinken, Schweinebäckchen in Biersoße und gestocktes Ei mit Montbèliard-Rindswurst. Dass dieses Angebot nicht nur bei Michelins super ankommt, zeigt die sich kontinuierlich füllende Terrasse. Die auswärtigen Hotelgäse machen alle einen belustigten bis entsetzten Eindruck, die Einheimischen dagegen feiern ausgelassen die üppige Darreichung köstlicher Speisen.

Zur Essens-Verzweiflung gesellt sich die Erkenntnis, dass wir viel zu schnell unterwegs sind und es schwer werden wird, den Plan der Reservierungen einzuhalten. Diese Kombination raubt Mo den letzten Nerv, wir vertagen uns auf den nächsten Morgen und gehen schlafen.