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Mittwoch, 30. Januar 2013

13. Juni 2012, der fünfunddreißigste Tag: Sancerre–Decize,114,56 km

Die Fenster zum Himmel

Das Frühstück fällt heute knapp aus, es ist einfach nicht mehr viel da. Deshalb wollen wir zum Nachfüllen in den Carrefour unten am Kreisel. Mo zahlt, ich sehe unterdessen unsere Retterin vom Vorabend und bedanke mich nochmal. Die Dame selbst ist gut drauf, die mit ihr frühstückenden Briten (?) schauen mich eher disappointed an – evtl. bin ich etwas underdressed.

Um Viertel vor neun fahren wir los.

Nach zwei Kurven gleich ein Moment der Entscheidung: links geht's nach Saint-Satur (und zum Kreisel), rechts nach Ménétréol-sous-Sancerre und in eine ernährungstechnisch ungewisse Zukunft. Abenteurer, die wir sind, drehen wie nach rechts und werden gleich mit einer schönen, weil schön langen Abfahrt belohnt.

Man wird die Felder auch mal mähen

Der weitere Weg ist schnell gefunden, es geht auf den Damm, links und rechts stehen verschiedene Blumen und Gräser hoch, wir düsen mit knapp 30 km/h Reisegeschwindigkeit, aber ohne nachweisbares Mittagessen mitten durch.

Kurz vor Pouilly-sur-Loire taucht rechts eine Ferme mit ungewöhnlichen Tieren auf: neben Esel, Pferd und Hund und Katzen sehen wir zwei Lamas, und auf deren Gatter steht ein Pfau mit breitem, langem Schweif. Wir warten ein bisschen, aber Rad schlagen hat er heute nicht im Programm.

Die bessere Hälfte der Brücke nach La Charité

Bis kurz vor La Charité-sur-Loire bleiben wir auf dem Levée Napoléon, fahren dann über die zur Hälfte eingerüstete, schwer passierbare Brücke und kaufen im Ort doch nur ein Baguette. Denn der SPAR ist irgendwo „oben neben der Mairie“, was uns nach einem Blick hinter die örtliche Kirche sehr fern und ziemlich steil erscheint.

Also fahren wir zurück über die Brücke, um unseren Weg auf der Straße fortzusetzen. Davon hält uns auf der anderen Seite ein französischer Radler ab, der dringend den Weg auf dem Damm empfiehlt: zu viel Verkehr auf der Straße, bester Belag auf dem Damm. Wir folgen seinem Rat, erleben freundliche Mäher, wenig Gegenverkehr und rasantes Vorwärtskommen.

Hier geht einfach alles glatt

Schneller als gedacht sind es nur noch 30 Kilometer bis Nevers – zumindest wenn man auch dem zweiten Rat des Rad-Kollegen folgt und ab Fourchambault auf den Radweg neben der D40 ausweicht, statt die längere Strecke am Kanal zu nehmen. In Fourchambault schauen wir uns erstmal den Carrefour an, füllen unsere Vorräte auf und entscheiden uns am Ende doch für den (Um)Weg entlang des Kanals.

Also wieder zurück über die Brücke und südwärts zur Mündung des Allier in die Loire. Direkt am Pont canal finden wir einen Spitzen-Picknick-Platz, den wir erst räumen als es anfängt, leicht zu tröpfeln.

Brücke von unten

Brücke von oben

Kanal von vorn

Die nächsten Kilometer führen uns mal wieder an einem Kanal entlang, diesmal bis Nevers. Nach Überquerung der Brücke finden wir direkt ins Centre ville und zur beeindruckenden Kathedrale.

Im Innern eher schlicht anmutend, haben die Verantwortlichen der Gemeinde bei den Fenstern einen Mut bewiesen, der weit über die Chagall-Fenster in Mainz und das Richter-Fenster in Köln hinaus geht: Zwischen 1977 und 2009 wurden alle Fenster der Kathedrale von unterschiedlichen Künstlern neu gestaltet und von unterschiedlichen Glasern neu produziert.

Im gotischen Ostchor hat Claude Viallat 15 Fenster geschaffen, im romanischen Westchor beeindrucken die Fenster von Jean-Michel Alberola, und entlang des Hauptschiffes haben Gottfried Honegger und der Glasbauer Jean Mauret mit zehn Fenstern ein echtes Meisterstück abgeliefert: je fünf Fenster pro Seite kommen mit je einer Farbe aus. Und das in einer katholischen Kirche! Incroyable!

Nevers my love!

Um diese Eindrücke zu verarbeiten, gibt's am Sortie für jeden noch 200 Kalorien in Form eines Schokoladen-Rochers gefolgt von einer kleinen Rundfahrt durch die Altstadt von Nevers, und dann geht's retour an den Kanal. Dort erwartet uns leider ein Revêtement irregulair, das stark an den Canal du Midi erinnert. Mo votiert sofort für die Straße, ich schließe mich an, der Himmel wird schwarz.

Il peut pleuvoir

Wir schaffen keine zwei Kilometer, dann fallen die ersten Tropfen. In kurzer Entfernung sehen wir eine Brücke, sie führt die Straße über den Kanal, wir schaffen es gerade so, dann gehen oben die Schleusen auf. Unter der Brücke steigen wir in die Regensachen, denn der Wind hat stark zugenommen, und es wird kalt.


Etwa eine halbe Stunde warten wir zitternd unter der Brücke, dann lässt der Regen nach und wir fahren weiter. Es sind noch etwas mehr als 20 km bis Decize, anfangs müssen wir uns nochmal in einem Wartehäuschen unterstellen, dann kommt langsam die Sonne zurück, der Himmel wird wieder blau und alles sieht aus wie frisch gewaschen.


Was das Eine mit dem Anderen zu tun haben mag, werden wir wohl nie ergründen

Kurz vor halb sieben sind wir im Hotel, duschen, umziehen, Bürokram und dann die Nachricht, dass es auch Zuhause stark geregnet hat. So stark, dass durch den Abfluss im Keller Wasser in die Waschküche gedrückt wurde. Na, das hat gerade noch gefehlt!

Im Restaurant erwartet uns die Tochter des Hauses, die uns mit und an einem Tisch ganz vorne abspeisen möchte. Wir nehmen lieber einen anderen, so schafft man sich Feinde. Mama nimmt die Bestellung auf: Schnecke in Spinat mit Knoblauchsauce, gebratene Foie gras de Canard auf Feigenbrot, Pavé und Tournedos vom Charollais-Rind. Papa kocht ordentlich.

Die Tochter hat eine orangefarbene Stoffserviette schön gefaltet unter ihre rechte Achsel geklemmt, die legt sie nur ab, wenn sie vom Käsewagen bedient. Dann kann die Serviette mit dem Käse um die Wette müffeln. Unserer Freude am Käse tut dies keinen Abbruch, langsam taut das mürrische Frollein auf, und als sie die Desserts annonciert, sind wir fast schon Freunde geworden.

Zurück im Zimmer erfahren wir, dass Mario Gomez 2:1 gegen Holland gewonnen hat, Christineke schreiben später, dass wir morgen trotzdem kommen dürfen.