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Samstag, 10. Juni 2023

La France avecque ... un mariage à coté de la plage

Ruhetag – haben wir uns verdient


10. Juni 2023


Nach dem Aufwachen haben wir entschieden, uns noch einen Tag am Strand zu gönnen. Das Hotel hat zugestimmt, wir dürfen bleiben. Frühstück gibt's unten in einem schönen Saal. Einiges wurde schon modernisiert, aber – wie so häufig – nicht zwingend zum Besseren.


Wir sitzen schon einige Zeit, da kommt ein Ehepaar in den Vierzigern rein, möchte an einem nicht (mehr) eingedeckten Tisch Platz nehmen. Er nimmt zwei Tassen von einem anderen Tisch und schaut mit dem Habitus eines Kindes, das von Mama eine Freigabe für sein Handeln erhofft, quer übers Buffet zur Frühstückskellnerin. Sie, eine ältere Dame, schaut zurück ohne jede Regung, und er versteht sofort, dass er das nicht machen darf. Er dreht sich um, stellt Teller und Tassen wieder dahin, wo sie hingehören, und Mama deckt für die Zwei den Tisch ein. Braver Junge!


Und dann spielns am Radio den Defiliermarsch. Wir warten auf Söder, aber er kommt nicht.


Badeort ohne Badeort-Gedöns


Nach dem Frühstück gehen wir zum Anbaden an den Strand. Handtücher haben wir vom Hotel geliehen, es ist nicht weit. Dafür ist der Strand riesig. Das Wasser ist anfangs kalt, aber wenn man erstmal drin ist, wird's schnell wärmer.


Beim Rauskommen sehen wir große Hubbel im Sand liegen. 60 Zentimeter Durchmesser, 15 Zentimeter hoch, sehen aus wie riesige Alarmknöpfe, auf die der Riese tritt, wenn es brennt. Macht der Riese aber nicht, denn das sind Quallen, die darauf warten, dass das Wasser sie wieder mitnimmt.


Da wir natürlich nicht wissen, dass Qualle auf Französisch „méduse“ heißt, fragen wir eine Französin. Sie sagt uns außerdem, dass die Dinger schmerzhafte Erfahrungen verursachen, wenn man sie berührt, wahrscheinlich eine Hautreaktion. Man möchte ihnen nicht begegnen aber es ist faszinierend, zuzuschauen, wie das Wasser sie langsam wieder ins Meer zurückbringt.


Das Haupt der Medusa (und der ganze Rest)


Ja, und während wir noch über Medusa nachdenken, bricht auf der Promenade plötzlich die Hölle los. Gespielt wird die Musik, die wir aus „Live and let die“ kennen. Natürlich nur der zweite Teil, es ist ja ein freudiger Anlass. Vorneweg der Bräutigam, ein Klarinettist, mit seiner Frau im eleganten Cabrio, dahinter 40–60 Gäste, unter ihnen sechs bis zehn weitere Musiker mit Tuba, Klarinette, Schlagzeug usw. Die Truppe spielt, klatscht und tanzt sich mit Hopsasa und Tralala die Promenade entlang.


Wahrscheinlich machen die das jede Woche ein Mal im Auftrag der Stadtverwaltung, und die Touristen glauben, es wäre echt.


Zurück haben wir einen anderen Weg genommen, mitten durch einen Wochenmarkt. Hat der Gattin nicht gefallen, denn sie war doch schwimmen und etwas leicht bekleidet. Aber so ist das Leben halt.


Fly like an eagle to the sea ...


Nach dem Mittagessen, der Mittagsruhe und dem Nachmittagskaffe gehen wir wieder an den Strand, leider hat das Meer Angst, es ist verschwunden. Wir laufen ein Stück nach links, ein Stück nach rechts, schauen Kitesurfern am Horizont bei ihren Kapriolen zu.


Auf dem Weg am Strand sehen wir den Leuten beim Flanieren oder Sonnenbaden, den Kindern beim Sandburgenbauen, beim Rennen, beim Matschen zu. Mit dem starken Wind aus West kämnpfen sie alle: Der eine bangt um die Standfestigkeit seines Windschutzes, die andere klappt sicherheitshalber den Sonnenschirm zu, jeder hält irgendwas fester als sonst üblich bzw. nötig.


Hält dem Küstenwind seit Jahrzehnten stand


Die Gattin blickt die ganze Zeit ihren Dass-ich-das-noch-erleben-durfte-Blick. Nach den Schrecken des nördlichen Abschnitts war mit einem solchen Ort kaum zu rechnen. Und manchmal muss man wohl Schlimmeres erlebt oder gesehen haben, um das „Normale“ entsprechend zu schätzen.


Das gilt auch fürs Essen. Wir haben wieder im Sandkorn reserviert. Was wir gestern als Brut 1er cru hatten, probieren wir heute mal als Blanc des blancs 1er cru. Und Bulots und Konsorten sind auch noch genug da.


Heute sitzen wir etwas weiter vorne im Restaurant. Da sehen wir wie um 21.30 Uhr die einheimischen Familien den Strand zurückerobern. Die Siebenjährigen toben und tollen vorneweg, die Vier- und Fünfjährigen schieben die Zweijährigen im Wagen, die Eltern trotten sich unterhaltend hinterher. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie die Menschen hier mit dem Meer leben.


Our Rad will go on (gleich morgen)

La France avecque ... un phénomène naturel par lequel des gouttes d'eau tombent des nuages vers le sol

Kleiner Leitfaden für Issbegierige


9. Juni 2023


Die gute Nachricht zuerst: Das neue Hemd hat keinerlei Verwerfungen nach sich gezogen. Die Gattin sagte: „Oh!“ und ging bereitwillig mit zum Essen. Da hätte wohl jeder kommen können.


Frühstück gibt’s unten. Hier übernimmt der Chef selber das Säubern mit der Sprühflasche. Sein System ist das gleiche wie gestern in Saint-Gilles, eventuell steht es so in der Mode d'emploi auf der Rückseite der Flasche.


Wir dürfen aussuchen zwischen süßem und süß-salzigem Frühstück und nehmen letzteres. Ohne Käse und Wurstwaren könnten wir schließlich keine Brote für den Mittag machen. Als „Deckchen“ ziert den Tisch ein DIN-A4-Werbezettel des Freizeitparks „Puy du Fou“, was wir mit Gipfel der Verrücktheit übersetzen.


Nur eine Stunde von den Stränden entfernt, bietet der Park den hier aufgeschlagenen Menschen zusätzliche Unterhaltung – vom Wagenrennen im Alten Rom bis zum ersten Weltkrieg. Vielleicht hätte man sich auch fürs Bombardement von Hiroshima noch was Nettes ausdenken können. Man wundert sich, warum die Leute im Urlaub noch zusätzliches Entertainment brauchen, statt einfach nur den gewünschten Strandurlaub zu machen.


Aus La Tranche-sur-Mer kommen wir super raus, die ersten knapp 13 Kilometer vergehen wie im Fluge. In L'Aiguillon-la-Presque'île gibt's einen Super U, da kaufen wir ein. Zumindest ist das die Idee, denn wir müssen vor allem: vorwärts kommen. In Richtung Küste ist es schon ziemlich dunkel, in unserer Richtung ist es noch hell.


Während ich draußen warte – ich habe sehr viel Zeit –, fällt mir ein schöner Song zum Klimawandel ein. Zu singen zur Melodie von „Eisbär“ in der Version von Nouvelle Vague:


Ich möchte kein Eisberg sein am warmen Polar

ich schmelzte ins Wasser rein und wär' nicht mehr da


Leichter Anstieg auf perfektem Untergrund


Nach 30 Minuten taucht  die Gattin dann doch wieder auf, mit vier Artikeln! Wir versuchen, dem Regen via Landstraße davon zu fahren. Das klappt anfangs ganz gut, aber irgendwann holt er uns doch ein, und wir retten uns nahe eines Naturreservats auf einen Bauernhof, auf dem außer Kühen und Maschinen nichts zu sehen ist. In einer offenen Scheune, ein bisschen abseits vom Güllewagen, essen wir die Beute vom süß-salzigen Frühstück plus die U-Einkäufe. Um uns herum Heu auf großen Haufen und ein bisschen Trockenfutter für die Tiere.


Nach knapp vier Wochen sinnlosen Transportes gilt es nun, endlich, endlich, endlich die Regenkleidung auszupacken, anzuziehen und notgedrungen weiter zu fahren. Vorher kommt aber noch der Untergestellte von der anderen Seite herüber. Wir tauschen uns kurz aus, dann rauschen wir ab.


Die folgenden rund 20 Kilometer geht es auf feuchten und entsprechend spritzigen Wegen durch das nächste Marais, zum großen Teil entlang eines Kanals, der die Vendée mit der Charente-Maritime verbindet. An dessen Ende, kurz vor Saint-Quen-d'Aunis, buchen wir das zuvor optionierte Hotel südlich von La Rochelle.


Das letzte Marais in der Vendée


Die weitere Strecke erweist sich als schwierig, da wir den offiziellen Radweg vermeiden und stattdessen Frau und Herrn Google auf deren etwas kürzerem Vorschlag folgen möchten. Mit der Konkurrenz beider Systeme tun wir uns schwerer als gedacht. Mal sind wir hier, mal dort, und am Ende haben wir zwar zehn Kilometer gespart und eine eher gewerbliche Seite von La Rochelle durchquert, aber anstrengend war's schon.


Der Kanal heute mal aus einer ganz neuen Perspektive


Chȃtelaillon-Plage entschädigt für alles.


Abends am Strand


Endlos langer, breiter Sandstrand. Kein Vergleich mit dem Trubel und den Bausünden der anderen Touristenorte. Gediegene Atmosphäre für Franzosen in unserem Alter. Unser Hotel und die Strandpromenade sehen ebenfalls genau so aus, wie man sich Strandurlaub vorzustellen hat. Das ist der erste Ort an der Küste, der uns wirklich gefällt.


Links oben haben wir unsere Klamotten zum Trocknen rausgehängt


Im Hotel machen wir unsere Habseligkeiten und die Regenkleidung so gut es geht sauber. Die Räder stehen völlig verdreckt in der Garage.


Radfahren im Regen ist ein schmutziges Geschäft 


Um acht gehen wir an der Promenade essen. Ich trage ein bisher ungesehenes Polohemd. Kein Kommtar der Gattin.


Auch das Restaurant passt perfekt in den Ort: sehr gut gemachte, traditionelle Küche, bezahlbare Weine und munterer Service – der Maître de cérémonie sieht aus wie Denzel Washington. Zwei Jungs von etwa fünf, sechs Jahren wollen der Kellnerin unbedingt bei der Arbeit helfen. Sie (er)trägt es mit Fassung. Das erinnert uns an die Zeit vor ca. 35 Jahren.


Wir sind die einzigen Nicht-Franzosen. Auf dem Weg zurück ins Hotel sehen Strand und Meer und Sonnenuntergang so kitschig aus, dass man schreien könnte.


Da bleibt kein Radler trocken