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Montag, 29. Mai 2023

La France avecque ... Sancerre par grand plateau

Saint-Cyr-et-Sainte-Julitte am frühen Morgen


29. Mai 2023


Das Frühstück ist etwa auf dem Niveau der Badewanne. Wir sind gestern sauber geworden, wir werden heute satt. Und wir nehmen mit, was fürs Mittagessen nützlich sein könnte.


Natürlich wären wir gern früher losgefahren, aber die Kathedrale war gestern schon zu und ist heute erst ab neun geöffnet. Leider sind Mittelschiff und Westchor gesperrt und mit Tüchern verhängt, die Dame an der Information veranschlagt die Dauer der Renovierungsarbeiten mit drei Jahren. So lange können wir nicht warten.


Herrgott, welch eine Farbenpracht!

Bis wir loskommen, wird es am Ende fast zehn. Zurück an den Kanal geht es über die gleichen Wurzelwege wir gestern rein in die Stadt. Heute allerdings eher bergab. Der Kanal hat nichts von seiner Langweile verloren, eventuell liegt es aber auch daran, dass wir schon an so vielen Kanälen gefahren sind, dass es genug ist.

Für etwas Abwechslung sorgt dann eine Gruppe von Schülern aus St. Wendel, die mit den Rädern nach La Rochelle unterwegs ist. Sie fahren zügig, zelten am Abend (das Gepäck und die Zelte bringt ein Auto) und lassen mit sich reden. Mal sehen, ob bzw. wie oft wir sie noch sehen werden.


Oben Raum für Touristen, ...

... unten Raum für den Fluss


Wenig später erreichen wir den Pont canal de Guétin, ein beeindruckendes Bauwerk über die ebenso beeindruckende Loire. Und kaum haben wir das verarbeitet, fahren wir schon durch Le Bec d'Allier, einen kleinen Ort, der aussieht, wie eine ortgewordene Tourismuswerbung.


Wir fragen eine Hundeausführerin, wie es um die Relation zwischen Ferien- und Normalhäusern bestellt ist. Sie sagt, dass es durchaus ein paar Ferienhäuser gebe, aber dass hier auch alle anderen wie im Urlaub lebten. Da freuen wir uns mit ihr und fahren weiter.


Wer lange fährt, wird endlich belohnt: unsere Medaille für 25 langweilige Kilometer


In der Folge sehen wir zwar die Schülergruppe nicht mehr, dafür aber zwei deutsche Pärchen im fortgeschrittenen Alter mit unterschiedlicher Mission und Motivation. Zuerst kommt der Artist in der Zirkuskuppel. Seine Manege ist eine kleine Brücke in der Form eines längs aufgeschnittenen Fasses. Wir fahren auf die Brücke zu, müssen vor ihr rechts abbiegen. Er kommt von rechts, muss über die Brücke.


Seine Frau ist schon da und stehengeblieben. Er zeigt ihr, dass man mit seinem Rad auch senkrecht nach oben fahren kann. Ich sage im Vorüberfahren: „750 Watt“, seine Frau lacht und sagt: „Ja, bestimmt!“ Er schafft es tatsächlich.


Oliver Kahn muss gehen — weiter, immer weiter


Mit einem anderen Pärchen spielen wir immer mal gegenseitiges Überholen. Nahe La Marche entscheiden sie sich für den offiziellen Wiesenweg, wir weichen auf die Straße aus, sie überholen uns bei einer Bio-Pause. Dann treffen wir sie an einem Pique-nique-Platz kurz vor La Charité-sur-Loire.


1866 war die Loire hier das Höchste


Anders als wir, sind sie nicht zum Mittagessen da.


Während er eine Drohne fliegen lässt, liest sie ihr Telefon leer. Es sieht aus, als hätte er sie aus einem Urlaub in Thailand mitgebracht. Sie ist am Kopf total verhüllt und trägt außerdem einen Helm mit transparentem Visier; mehr kann man wirklich nicht tun, um nichts an sich ranzulassen. Er erzählt, dass sie aus München kommen und auf dem Weg in die Bretagne seien, um von dort weiter nach England, Schottland und Irland zu reisen. Im Oktober wollen sie wieder zurück sein. Sie liest den Rest ihres Telefons leer.


Auf Schilder schießen ist offensichtlich nicht verboten


Wir schauen die Räder etwas genauer an: Hochleistungsrahmen mit schweren DT-Swiss-Laufrädern, Stollenreifen, Mittelmotor, riesige Akkus, gefederte Gabeln und Sattelstützen. Beide bepackt mit umfangreicher Ortlieb-Produktion, seines hat einen Lenker voll mit zusätzlichem Equipment, wie Handyhalterung und vielem, was wir nicht zuordnen können. Über dem Vorbau thront eine Dashcam, er nimmt wohl die ganze Fahrt auf.


Sie müssen schnell weiter. Wo wir radfahren, realisieren andere Projekte.


Zurück auf dem Weg, strampeln wir stromfrei in Richtung Pouilly-sur-Loire. Die Watt brauchen wir noch auf dem Weg hoch nach Sancerre. Die Basisstation erreichen wir vor 15 Uhr, es sind etwa drei Kilometer mit 150 Höhenmetern bis ins Ortszentrum. Vor zwölf Jahren waren es zehn bis zwölf Prozent Steigung, daran hat sich nicht viel geändert.


Aber heute haben wir Strom. Heute fahre ich auf dem großen Blatt hoch. Madame nimmt das kleine und braucht kaum länger.


Der Vorteil eines Chambre mansardée


Unser Hotel ist hoch modern und liegt direkt an der Hauptstraße bzw. äußeren Umgehung. Der Empfang ist super, die Garage ebenfalls. Unsere Räder teilen den platz mit acht in zwei Vierergruppe fest angeketteten Rennrädern feinster Machart und Ausstattung. Nebenan wird das Haus erweitert. Wir trinken einen Kaffee, duschen und schlafen fast eine Stunde.


So muss ein Badezimmer für Radfahrer ausgestattet sein


Gegen 19.30 Uhr gehen wir eine Runde durch den sterbenden Ort und buchen einen Tisch fürs Abendessen.


Das Runde muss ins Schmeckige


Die Auswahl ist extrem reduziert, denn montags haben die besseren Adressen alle geschlossen. Am Ende sind wir insgesamt gut bedient: gleicher Preis wie gestern in Nevers, bessere Küche und sehr engagierter Kellner.


Durchgehend flach, durchgehend langweilig, am Ende steil

La France avecque ... se baigner dans la Loire

Samen-Teppich entlang des Kanals


28. Mai 2023


Heute war's eher langweilig, dafür aber ziemlich heiß.


Um halb acht gibt's Frühstück. Wir haben gestern schon gut eingepackt, auch das Paket mit inzwischen unnötigen Trikots, Strümpfen usw., das Ineke jetzt wieder an uns zurückschicken wird. Insgesamt sind wir schnell mit allem fertig, um kurz nach halb neun fahren wir vom Hof.


Das erste Ziel ist Bourbon-Lancy, das wir auf der Voie verte schnell erreichen. Den langen und steilen Aufstieg in die Altstadt versüßen wir uns mit zwei Cafés au lait und einer Tarte au pomme bei Patrick et Cathérine. Danach verfahren wir uns erstmal und müssen ein zweites Mal bergauf zum Radweg.


Auf dem weiteren Weg nach Cronat geht es zwischendurch zwei Mal heftig aufwärts. Wir schalten den Motor zu, das wirklich stark übergewichtige Pärchen auf dem Tandem muss es ohne Hilfe schaffen. Und sie schaffen es! Der Fahrradanhänger wackelt zwar beängstigend hin und her, aber die Beiden kommen gut nach oben.


Traumhaus im Grünen, hinter Hecken versteckt


Die Temperatur steigt, die Sonne brennt, wir fahren stromlos durch immer gleiche Äcker- und Weidelandschaft. Das geht so bis Kilometer 62, wo wir nach dem nächsten happigen Anstieg am Pique-nique-Platz in Devay ankommen und an einem von Vögeln völlig verschissenen Bank-Tisch-Ensemble unseren Proviant verspeisen.


Lange halten wir uns ob der Umgebung nicht auf, das nächste Ziel heißt Décize, wo unser Loire-Kanal auf den Canal du Nivernais trifft, am dem wir 2019 von Nord nach Süd gefahren sind. Auch diesmal feiert die Stadt ihre Braderie, es riecht nach altem Fett und Kirmeskram.


Wenn wir kommen, feiert Décize


Eigentlich würde es uns jetzt reichen, aber nochmal wollten wir nicht im bekannten Hotel nächtigen, deshalb haben wir in Nevers gebucht. Das sind  weitere 30 Kilometer in der Hitze entlang des langweiligen Kanals. Die Gattin ist derart konzentriert, dass ihr eine Flasche vom Rad fällt und sie drüber fährt. Eine Flasche weniger.


Ob wir hier wirklich fahren dürfen?


Bei Fleury-sur-Loire erwartet uns auf der anderen Seite des Kanals eine sehr willkommene Abwechslung: La Halte Nautique, ein Camping- und Anlegeplatz mit Bewirtung. Heute ist Feiertag und der Franzose kommt im Familienverbund zum Essen.


Wir nehmen nur zwei Café au lait, zwei Softeis von Langnese und einen Liter Wasser. Später stellen wir fest, dass die Flasche perfekt in den frei gewordenen Flaschenhalter passt. Der Kellnerin ist es am Ende selbst peinlich, dass sie uns für besagte Bestellung 15 Euro abnimmt, aber es ist ja Feiertag ...


Mit uns rastet ein nicht grüßender Bikepacker (der erste seiner Art), den wir später bei seiner Bio-Pause passieren. Das kann er schlecht verarbeiten, deshalb holt er uns bald ein und versucht, sich bei uns anzuhängen. Das wiederum ist nicht in unserem Sinne, wir stoppen nach einigen Metern und lassen ihn vorbei.


En passant sucht er mein Rad mit professionellem Blick nach dem Motor ab. Ohne Ergebnis. Er nimmt es hin, kann aber sichtlich nicht begreifen, dass andere – zumal eine Frau! – mit Gepäck so schnell unterwegs sind, wie er ohne. So vergeht die Zeit am Kanal mit lustigen Spielchen unter Radfahrern.


Eines Nachmittags in Nevers

Wir sind froh, dass wir nach rund sieben Stunden endlich in Nevers ankommen. Unten im Fluss baden die Einheimischen, wir genießen die Skyline und beziehen unser Hotelzimmer. Die Rezeptionistin hat einen schönen Platz für unsere Räder, das Zimmermädchen spricht akzentfrei Deutsch; sie hat es im Land gelernt, nachdem ihre Familie aus dem Kosovo geflohen war.


Best Western Nevers, in einigen Bereichen eher second best


Fürs Abendessen lässt uns die örtliche Gastronomie wenig Auswahl, von 15 Restaurants haben sonntags zwölf geschlossen. So landen wir auf einer Terrasse an einer belebten Kreuzung. Die Karte ist fleischlastig, es gibt „günstige“ Apéro-, Cocktail- und sonstige Angebote. Entscheidend ist, dass schnell bestellt, schnell geliefert und schnell Platz gemacht wird für die nächsten Gäste.


Der Abend ist immer noch warm. Der Blick auf die anderen Tische zeigt, dass langsam wieder die Zeit im Jahr beginnt, da Menschen weniger anziehen, als es ihnen und dem Rest der Welt guttut. Ein paar Meter weiter fällt ein Mann rückwärts aufs Pflaster. Das beschert ihm eine Platzwunde am Hinterkopf und einen Rettungswagen-Einsatz.


Rund um die angrenzenden Straße brettern örtliche Poser auf dezent aufgebohrten Mopeds. Die Kellnerin ist überfordert, drei Mal muss ich die Caraffe d'eau selbst an der Bar holen.


Länger als gedacht, leider unvermeidlich