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Freitag, 3. Juni 2022

Deutschland ohne e – die 21. (und letzte) Etappe: Armes Deutschland

Wo es etwas gibt, stellen sie sich – wieder – an


Heute war so schönes Wetter. Hat aber auch nichts genützt.


Das Frühstück im Hotel war ordentlich, die Ausfahrt aus der Stadt ging ganz gut. Am Ende haben wir es geschafft und uns entlang der Elbe und ihren Hochwasserschutzanlagen davongemacht.


Noch vor Elbenau fing der Ärger mit dem Weg wieder an: unbefahrbares Kopfsteinpflaster mit schmalen, teils gefährlich schmalen Nebenspuren aus Sand, ebenso schmale Traktorenspuren mit Bewuchs in der Mitte und Gestrüppüberhang rechts und links. Einfach zum Verzweifeln.


Egal, wo man hier „fährt“, die Gefahr fährt mit


Danach kam bei Elbenau noch eine Sperrung mit größerem Umweg, da haben wir uns fürs erste vom Radweg verabschiedet und sind auf die Landstraße ausgewichen.


Über Plötzky und Pretzien fuhren wir in südwestlicher Richtung weiter, ab Prödel wurde die asphaltierte Landstraße innerorts wieder zur „gepflasterten Straße“. Und so ging es weiter, das richtige Framing ist alles.


Auf dem Weg nach Zerbst machten wir in Güterglück Mittagspause mit Blick auf den hiesigen Teich bzw. seine etwas schlappe Fontäne. Gegenüber ein verlassenes „Getränke-Paradies“, dessen Fenster der letzte Betreiber mit Stofftieren und anderen Figuren geschmückt hinterlassen hat: Duracell-Hasen, ein großer Schneemann, ein großer Weihnachtsmann, eine große Hexe – man denkt unwillkürlich an den Friedhof der Kuscheltiere.


Kryptischer Hinweis am längst geschlossenen Getränkemarkt


In Zerbst war dann Einkaufen angesagt. Vier Flaschen Wasser und zwei Birnen für den Rest des Tages und die Rückfahrt morgen. Das Setting bei Kaufland kann man sich düsterer kaum ausdenken: sichtbar mittellose Menschen, körperfüllige Menschen, Menschen, die gegenüber anstehen, weil es wohl etwas (günstig?) gibt, was es sonst nicht (günstig?) gibt.


Die gute, alte DDR feiert fröhliche Urständ.


Und natürlich werden wir bei unserer weiteren Streckenplanung abgehört. Das merken wir, als wir uns die Frage stellen, ob wir „da hinten rauskommen“ und die zigarettenpausierende Kaufland-Mitarbeiterin freundlich „kommen Sie“ über die Fahrradständer sagt.


Zerbst kann auch anders, hier seine Schokoladenseite


Wir folgen ihrer Expertise südwärts, fahren auf wunderbar asphaltierter Landstraße zuerst nach Lebs, nach Steckby und nach Steutz, um letztendlich die Fähre nach Aken zu erreichen. Vor der Überfahrt sprechen wir noch mit Brüdern und Schwestern im Geiste, die ebenfalls an den vermeintlichen Radwegen verzweifeln.

Die weitere Strecke folgt der Dessauer Landstraße, am Ende hilft uns ein junges Pärchen beim Finden unseres Hotels. Auch hier hat der Name starke Abnutzungserscheinungen infolge Abnutzung. Den Teppichboden unseres Zimmer ziert z.B. das sichtbare Zeugnis eines verschütteten Kaffees. Vom zentralen Ereignis hin zu den peripheren Begleiterscheinungen.


Nach Dusche und Ruhe machen wir uns auf zum Essen. Das Dessauer Brauhaus kennen wir noch von unserem letzten Besuch. Der Biergarten ist unverändert, die Umgebung leider auch. Bier und Essen sind ok, um halb zehn sind wir zurück im Hotel.


Unsere Tour geht damit zuende. Den Luther-Teil, von dem sie eigentlich ausging, werden wir wohl nicht mehr angehen. Morgen fahren wir nach Hause und erstellen über Pfingsten ein Glossar der Reise. Vorher schlagen wir uns noch mit Sixt rum.


Heute keine Wasserbilder.


85 Kilometer vom deutschen Handballmeister 2022 zum Bauhaus

Deutschland ohne e – die 20. Etappe: Wir strengen uns an, alle anderen auch, irgendwie

Nicht nur in Afghanistan wird mit Mohn Geld verdient


Wer hätte das gedacht: unsere längste Etappe auf dieser Tour.


Nach diesem Frühstück fällt der Abschied aus unserem Hotel noch schwerer. Wir reden noch kurz mit einem anderen Radfahrer-Paar, das sich auf einer Runde um Berlin abstrampelt, dann geht es bergab an die Elbe.


Schon nach wenigen Kilometern fähren wir bei Sandau über den Fluss, dann kürzen wir ein bisschen durchs Gewerbegebiet ab. Wir wollen ja bis Magdeburg kommen.


Bis Tangermünde läuft es ausgesprochen gut. In der Einfahrt kaufen wir noch was ein, dann ereilt uns eine Baustelle. Das senkt erstmal die Stimmung, die Stadt macht den ersten Eindruck aber schnell mehr als wett.


Du gommst hier nisch dursch

Durch die Elbauen im Süden der Stadt fahren wir weiter. In Bittkau machen wir nach 54 Kilometern am Heldenplatz für beide Weltkriege Mittagspause. Bei Bertingen sind sich dann Nord- und Südsee so nah wie nirgendwo sonst auf der Welt.


Wir trinken am örtlichen Campingplatz einen sehr guten Affogato, dazu gibt's Mohnkuchen, und kurz drauf erreichen wir über eine größere, für Radfahrer natürlich gesperrte Baumaßnahme, die Fähre bei Rogäz, wo uns der Fährmann freundlich für voreiliges Befahren der Fähre rügt.


Wer diesen Job macht, muss Humor haben, anders könnte er den Tag nicht überstehen.


Manchmal braucht man einen Übersetzer

Ahnungslos wie wir nun mal sind, fahren wir danach munter auf eines der größten Wasserbauwerke zu: den Mittellandkanal, der die Ems über die Weser mit Elbe und Havel verbindet. Bei Magdeburg stehen wir dann plötzlich an einem Aquädukt, wie wir ihn im Prinzip von der Loire kennen.


Allerdings in einer Größe, wie wir es uns nicht hätten vorstellen können.


Irgendwann ist genug gestaunt, nur ein, zwei Ecken weiter beginnt die große Straße durch das Gewerbegebiet, das unsere Einfahrtsschneise nach Magdeburg sein soll. Wir sind fast am Ziel.


Denkste!


Wer eine Jahresendfigur hat(te), braucht auch eine Hochwasserschutzanlage

Die Stadt Magdeburg, ohnehin von einer leistungsfähigen Eisenbahnlinie im Kern geteilt, hat sich entschlossen, diese Teilung weiter voranzutreiben. Und Google weiß absolut nichts davon.


Bis zur Ernst-Reuter-Allee geht alles glatt, dort treibt uns die dritte Baustelle dieses Tages endgültig zur Verzweiflung. Google schickt uns links, wo nur rechts möglich ist. Google schickt uns zurück, wo wir geradeaus weiter müssen. Das kostet Nerven und Zeit, und von beidem ist nach mehr als 100 Kilometern kaum noch etwas übrig.


An der richtigen Stelle kann Wohnen sehr schön sein, auch in Magdeburg

Viel später als erwartet kommen wir dann doch am Hotel an und haben wenigstens noch die Zeit, uns ein bisschen frisch zu machen, bevor wir an den Tisch dürfen. Das Haus hat seine besten Tage schon länger hinter sich. Das Restaurant ist geschlossen, hier wird nichts mehr investiert, nur noch ertragen.


Das Essen im „Partner-Restaurant“ gegenüber war einerseits in Ordnung – gemischte Antipasti für zwei, 1x Tagliatelle mit Seezunge, 1x Fasanfilet mit Papardelle und Gemüse, Zabaione für zwei –, andererseits kann man sich einem der Tripadvisor-Advisors voll und ganz anschließen: „This was a bit of a strange experience.“


Gut gelaufen, bis Magdeburg