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Mittwoch, 20. April 2022

Deutschland ohne e – die 8. Etappe: Das Wetter spielt nicht mehr mit

Start in einen guten, schweren Tag


Wir haben gut gegessen, gut geschlafen, gut gefrühstückt.


Der Mühlengasthof in Landesbergen war eine wirklich gute Adresse. Kein Schnickschnack, kein Getue, sondern ein Angebot, das perfekt zu unseren Vorstellungen passte. Andere Gäste waren weniger zufrieden, aber so ist das halt im Leben …


Mit Blick auf die Anstrengungen der letzten Tage haben wir beschlossen, unser Programm ein wenig zu modifizieren: heute und morgen jeweils eine kürzere Etappe mit dem Ziel, am Donnerstag schon vormittags in Bremen anzukommen, um dann frisch geduscht die Stadt beschauen zu können.


In der Folge schlafen wir etwas länger, fahren erst um kurz nach zehn los und folgen dem Radweg in Richtung Nienburg, denn – wie uns andere Reisende verraten – dort gibt es eine schöne Altstadt, und heute ist Markt. Letzteres stimmt, bezüglich der Altstadt kann man geteilter Meinung sein, denn der über Jahre bis Jahrzehnte ausgelebte Modernisierungswahn hat auch in Nienburg eine Schneise des Schreckens hinterlassen.


Trotzdem gibt es zwei Lichtblicke: Erstens Reifen Günther, der am Ortseingang Nienburg die Zukunft der deutschen Pflege regelt. Mit SB-Pflegezentrum und Selbstwaschbox. Zweitens ein Handy-Shop in besagter Fußgängerzone, bei dem wir für 2x vier Euro drei neue Batterien für unsere Trittfrequenzzähler bekommen. Die acht Euro Umsatz müssen für den Shop-Betreiber sensationell gewesen sein, denn die dritte Batterie schenkt er uns dazu.


Nach Nienburg wird es richtig schön am Radweg: verschlungene Wege, weite Blicke aufs und übers Land, alte niedersächsische Höfe in traditioneller Backsteinbauweise und bestem Erhaltungszustand – es ist in jeder Hinsicht eine Freude, sie zu sehen.


Wären doch nur die Fußgängerzonen so gut in Schuss wie die Bauernhöfe


Unterbrochen wird die Freude von schlecht erhaltenen Kopfsteinpflasterwegen bei Schweringen (sic!), von aufgebrochenen Asphaltdecken und zweifelhaften Wegführungen. Gibt es eventuell tiefere Gründe oder hat sich überhaupt jemals jemand Gedanken darüber gemacht, warum Radwege so oft an Kläranlagen und Friedhöfen vorbei führen?


Egal, wir fahren weiter nach Norden, der Wind bläst uns immer intensiver entgegen, die Freude am Schauen wird von den Strapazen der Strecke mehr und mehr geschmälert.


Weites Land zwischen Hoya und Verden

Am Ende erreichen wir (später als gedacht) Verden an der Aller, ein weiterer kleinstädtischer Tiefpunkt dieser Reise. Die Hauptstraße ist eine einzige Aneinanderreihung von Fachwerk-Desastern und sonstigen Bausünden. Die Menschen sind muffig. Der freundliche  Italiener im Eis-Café am Ende der Großen Straße entschuldigt sich mit seiner langen Anwesenheit in Deutschland dafür, dass ihm nicht gleich einfällt, was ein Affogato ist: „So etwas Schönes, und ich habe es vergessen!“


Zum Vergessen ist auch unser Hotel. Relativ gesehen, ist es das bislang teuerste dieser Reise, inhaltlich ist es maximal auf dem Stand der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und rundherum stehen abgewrackte Häuser, liegt der Müll in allen Formaten auf unterschiedlich hohen Haufen.


Aber es gibt Hoffnung. In den Seitenstraßen der Altstadt sehen wir liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser, teilweise mit interessanten Läden im EG oder gleich das ganze Haus als Konzept, wie z.B. eine Craft-Bier-Brauerei mit angeschlossenem Verkauf und Tasting-Room.


Unser dritter Mann: anspruchslos und immer dabei

Wir wickeln unser Nachmittagsprogramm ab, reservieren mangels Alternativen einen Tisch im Monte Carlo, wo wir erstens gut essen und zweitens das weitere Vorgehen besprechen: Das Wetter war nun acht Tage einigermaßen in Ordnung – kein nennenswerter Regen, halbwegs erträgliche Temperaturen –, nun drohen Regen und starker Ostwind ab Cuxhaven. Außerdem wurde die Fährverbindung zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel eingestellt, was uns eine angepeilte Abkürzung unmöglich macht.


Also beschließen wir, die familiären Besuche in Flensburg und Kiel auf das Wochenende vorzuziehen und dann zu entscheiden, wie es weitergeht.


Wenn Marine le Pen die Wahl am Sonntag nicht gewinnt, wäre z.B. eine Verlegung unserer Aktivitäten ins Burgund denkbar. Dijon prognostiziert Temperaturen über 20 Grad für den Beginn des Wonnemonats. Und ganz andere Speisekarten als in Höxter, Rinteln und Verden.


Die kürzeste Etappe muss nicht die leichteste sein