Seiten

Sonntag, 4. Juni 2023

La France avecque ... la jument et son poulain

Villandry von seiner schönsten Seite


3. Juni 2023


Die Ausfahrt aus Tours dauert so lang, wie es sich für eine mittlere Großstadt gehört. Vorher delektieren wir uns noch an dem Hampton-typischen Frühstück und erfreuen uns an der schwäbischen Ehefrau, die eine deutsche Antwort mit „Ei, da könnet mir ja a Deutsch schwätze“ quittiert.


Besagte Ausfahrt also führt über die Loire, an einem Einkaufszentrum vorbei und dann durch ein schönes Naherholungsgebiet im Westen der Stadt. An dessen Ende fahren wir  durch den ebenso großen wie frequentierten Golfplatz von Joué-les-Tours.


Straßenbau auf höchstem Niveau


Was folgt, ist die Silhouette von Villandry und die Einfahrt in  Bréhémont, wo wir zunächst mit dem Kinde telefonieren und dann zu Mittag essen. Das schattige Tisch-mit-Bänken-Ensemble nimmt direkt vor uns ein anderes Ehepaar in Beschlag. Es sind Bretonen aus der Nähe von Brieuc, sie gewährt uns großzügig zwei Plätze, er fragt grinsend: „Vous avez payé?“


Übers Essen kommen wir ins Reden. Auch sie sind touristisch hier, fahren seit knapp zwei Wochen die Loire ab, parken ihren Camper hie und da und erkunden dann mit den Elektro-Mobilen die jeweilige Umgebung. Ein munteres Pärchen, das aus den verbleibenden Jahren sicher noch einiges machen wird.


Wir brechen ebenfalls auf und sehen eine etwa 20-köpfige Altherren-Gruppe eines lokalen Radsportclubs die Straße entlang schnurren. Plötzlich stürzt einer der Herren auf schnurgerader Strecke, wahrscheinlich hat er den hohen Bordstein touchiert. Die anderen kümmern sich zwar gleich um ihn, die Fahrt wird er allerdings trotzdem nicht fortsetzen können. Auf Entfernung sieht man, dass das Vorderrad nicht mehr zu gebrauchen ist.


Kurz hinter Bréhémont sehen wir von oben (siehe oben) ein echtes Naturschauspiel. Eine majestätische Stute läuft mit ihrem frischen Nachwuchs auf einer kleinen Koppel. Das Fohlen bewegt sich noch etwas sprunghaft und unkoordiniert, ahmt aber die Bewegungen der Mutter nach. Und diese lehrt ihr Kind ganz nebenbei, wie ein schönes Pferd zu laufen hat.


Der weitere Weg könnte ziemlich entspannt zu bewältigen sein, wenn die lokalen Planer sich nicht einige Herausforderungen für den gemeinen Radwanderer ausgedacht hätten. So zum Beispiel eine steile Auf- und Abfahrt über das Kopfsteinpflaster von Ludwig XV, das zwei gut asphaltierte Streckenabschnitte trennt.


Stolpersteine auf dem Weg nach Saumur


Oder die schmalen und ebenfalls unpassierbar steilen Ortsdurchfahrten abseits der unten liegenden und weitgehend unbefahrenen Durchgangsstraße. Zugegeben: Es ist oben meist wirklich schön, aber doch nicht so schön, dass es lohnt, 15 Kilogramm hinauf zu strampeln. Und der hier weit verbreitete touristische Ansatz des Weinchens vor, zum und nach dem Essen (oder einfach mal zwischendurch) ist für uns erstens unpraktikabel und zweitens eh nicht unser Ding.


In Avoine lernen wir beim Nachmittagskaffee vor der großen Kirche einen französischen Radreisenden mit kleinem Anhänger kennen. Er freut sich, dass er im Schatten sitzt, will alles von uns wissen und macht sich auf den Weg, während wir noch vor halbvollen Tassen sitzen. 


Hübsche Städtchen geben den älteren Herrschaften von beiderseits des Kanals ein gutes Gefühl


Höhepunkt des Tages ist Candes-Saint-Martin, ein Ort, der top-renoviert und auch in anderer Beziehung geeignet ist, jedes englische Herz höher schlagen zu lassen. Uns fällt auf, dass wir zwar durch eine AOC-Lage nach der anderen fahren, aber bislang kaum einen Weinstock gesehen haben. Sind wohl alle auf der Nordseite der Loire.


Candes-Saint-Martin oder „Stop and smell the roses“


Was uns außerdem auffällt, ist, dass hinter Candes-Saint-Martin die Zahl der heute noch fälligen Kilometer immer wieder leicht ansteigt. So kommen wir statt auf 70 auf über 80 Kilometer. Und weil ich meinen Pulsgurt samt Sensor im Hotel vergessen habe, steht vor Feierabend noch die Beschaffung eines neuen auf dem Programm.


Terre de Running hat nur ein Modell vorrätig: Gurt und Sensor von Garmin für 69,00 Euro. Also doch zu Decathlon, wo es sicher Alternativen gibt. Wir sind schnell da, der Mann am Fahrrad-Counter ist nett und sicher, dass es hauseigene Produkte gibt, die mein Problem lösen werden. Ich werde mutig und frage mal ins Blaue hinein, ob das Team nicht mal eben auch unsere verdreckten Antriebe säubern könnte.


„Bien sûr, Monsieur, 20 Euro.“


Wo wir auf die Wartung warteten


Natürlich geht das alles am Ende weniger schnell, als wir es uns gewünscht hatten, aber wir hätten es in der einen Stunde zu diesem Preis nicht so gut selbst machen können. Und das Gurt-Sensor-Package spart uns mit 36,00 Euro so viel, dass wir sogar die Kaffeekasse der Werkstatt noch etwas auffüllen können.


Der Hin- und Rückweg zu bzw. von Decathlon führt uns vorbei an den weitläufigen Anlagen der Écoles Militaires de Saumur, an der École de cavalerie und dem Musée de la cavalerie. Die Geschichte der Stadt ist eng mit Pferden verwoben, man begegnet überall Fotos, Gemälden, Statuen oder Plakaten, die auf entsprechende Veranstaltungen hinweisen.


Noch zwei Stunden, dann bricht hier das Wochenende aus


In der Hotel-Garage stiehlt uns dann die Technik noch einige Zeit. Auto laden – kein Problem, es gibt zwei Ladestellen. Fahrrad laden – es gibt eine Dose unter einer Ladestelle. Kosten mindestens 4,95. Alternativ: Akku mit ins Zimmer nehmen.


Wir suchen also die eine Steckdose. Während der Gatte sie unten sucht, findet die Gattin sie oben. Es ist wirklich die eine Dose auf ca. 300 Quadratmetern. Leider stehen die Räder damit in der Zufahrt. Aber das regelt die Rezeption und stellt einfach drei Poller drumrum.


Mit Ach und Krach schaffen wir es bis halb acht auf die andere Seite ins Speisen- und Getränkezentrum. Und, man glaubt es kaum, die besseren Etablissement sind am Samstag alle ausgebucht. Mit Hilfe unserer Flexibilität in Speise- und Getränkefragen sowie der uns eigenen sprachlichen Hilflosigkeit können wir die Kellnerin im Bistro les Tontons dazu bewegen, uns an einem zwar reservierten, aber noch freien Tisch den Apéritif zu servieren.


Kaum sitzen wir, zahlen die Engländer an dem viel schöneren Tisch hinter uns, und wir haben ein feines Plätzchen zum Essen und Gucken gewonnen. Es gibt Menschen-Kino in Dauerschleife. Kinder jeden Alters, die schreiend durchs Getümmel rasen, Stühle rücken oder auf Baumschutzeinrichtungen aus Metall klettern und dabei „Papa!“ rufen. Männer und Frauen jeden Alters schieben sich über den kleinen Platz, Familien drehen ihre Runden und kommen entsprechend öfter vorbei, die Polizei und Rettungssanitäter „kümmern sich“ um Verlorene und Verletzte aller Art.


Ein wirklich zauberhafter Abend in mediterraner Atmosphäre.


Schöne Weinorte, viele Engländer und mehr Kilometer als gedacht