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Dienstag, 23. Mai 2023

La France avecque ... personne

Alles frisch: Küche, Garage, Salon (links)


23. Mai 2023


Eigentlich fing der Tag ja gut an. Der Gatte kauft den Bäcker leer, die Gattin bereitet im Apartment das Frühstück vor. Eier zum Mitnehmen gekocht, Kaffee gekocht – Maschine mit allem in der Küche, sogar Butter im Kühlschrank.


Aus der Zeit, als Michelin noch ein Reiseführer war

Nach dem Frühstück aufgeräumt, gepackt, gefahren. Der Weg ist erstmal langweilig, mehr schlechte Straße als guter EuroVélo 6. Ab Chaugey geht's neben weitläufigen Felder am Kanal entlang südwestlich.


Und was war jetzt eigentlich mit „eigentlich“?


Nun, bis Chaugey zeichnet Madame eine Herzfrequenz zwischen 160 und 194 auf. Das macht sie sonst nicht, das hat sie auch beim Fahren nicht gemerkt. Aber wir kennen das Spiel und werden die nächsten Tage ganz genau auf ihren Herzschlag achten.


Seurre avecque les fleurs en ciel


Außer uns ist heute praktisch niemand unterwegs. Und weder der Himmel noch die Strecke geben vernünftige Gründe, draußen rumzufahren. Oben ist es grau, unten ist es grau, links oder rechts steht kniehoch Getreide oder knöchelhoch Mais. Das einzige Highlight des Tages ist Seurre, wo die Straßen bunt geschmückt, die Leute draußen sind und der Verkehr brummt.


Kaum raus aus der Stadt, wird's wieder eintönig, bis plötzlich ein ständig zunehmendes Rumpeln die Luft erfüllt. Wir nähern uns zielstrebig an und sehen rechts ein Förderband, das Kiesel transportiert. Wohin, sehen wir nicht. Aber wir fahren an diesem Band entlang. Lange. Bis es nach rechts abbiegt und weiter rumpelt.


Über Maps sehen wir später, dass es sich um ein kilometerlanges Transportsystem handelt, das die aus einem weit entfernten See gebaggerten Steinchen bis an eine Anlegestelle am Doubs bringt, wo sie sortiert, verladen und verschifft werden.


Viele Namen, ein Weg: EuroVélo 6


Ohne Kiesel wird die Umgebung gleich wieder langweilig, kurz vor Verdun-sur-le-Doubs sind wir zurück auf den Radweg – noch 20 Kilometer bis Chalon-sur-Saône.


Da würden wir vorher gerne Mittag machen, und finden tatsächlich inmitten von nichts eine, besser: DIE Bank, die wie dafür geschaffen ist. Der Wind pfeift uns ein bisschen um die Ohren, darf er auch, denn er pfeift in Fahrtrichtung. Um kurz nach eins fahren wir weiter.


Die nächsten Meter nach Chalon-sur-Saône


Einen besonderen Moment hatte der Tag auch noch: An einer der vielen Schleusen sehen wir, wie zwei Penichettes gleichzeitig einfuhren und wollen das gerne fotografieren. Der Kapitän des ersten Bootes nimmt gleich die Gelegenheit wahr, den Fotografen zum Schleusenwärter zu machen. Er beordert mich auf die andere Seite und bittet um kräftigen Zug an der blauen Leine. Das spart seiner Frau und ihm die Sprossenleiter an der Schleusenwand.


Das blaue Seil schließt die hintere Tür


In Chalon hätte ich mir gern einen neuen Flaschenhalter gekauft, weil der alte gebrochen ist. Daraus wird aber nichts, denn der Weg führt uns ein ganzes Stück nördlich an den Einkaufszentren der Stadt vorbei. Und plötzlich sind wir schon auf den letzten 20 Kilometern unserer Tagesstrecke.


Romantische (Wasser)Straße kurz vor Chagny


Hinauf nach Chagny läuft der Motor wieder mit, das geht den Weg fast schneller hoch, als ich ihn vor sieben Jahren runter gefahren bin. Im Caboulot Lyonnais trinken wir noch zwei sehr leckere Café crème, die Madame aber schon wieder zu teuer sind. Genau wie der Chablis gestern Abend. Zum Essen fand sie ihn super, auf der Rechnung nicht.


Der weitere Weg führt uns erstmal an Santenay vorbei, dann etwas mehr als einen Kilometer zurück ins Zentrum. Unsere heutige Bleibe ist kaum zu verfehlen, direkt gegenüber vom ProxiMarché.

Très chic mit Blick auf die Straße


Tom ist Brite, er begrüßt uns und weist uns ins Haus ein. Stephanie ist Kanadierin und seine Verlobte, bis dato unsichtbar. Das Apartment ist riesig: Küche, Wohnzimmer, Bad, Schlafzimmer plus zweites Bett und Toilette im OG. Alles ist so arrangiert, wie es sich der gemeine, westeuropäische Bildungsbürger vorstellt: hübsches Mobiliar mit Vintage-Touch, goldene Wasserhähne, Reminiszenzen aus der jüngeren europäischen Malerei an den Wänden, Bücher von Ian McEwan, Kochbücher von Ottolenghi usw.


Wir fühlen uns gleich wie zu Hause.


Abendessen gibt's ein paar Schritte weiter: 2x Menu 'Les classiques', dazu 1/2 Chablis und 1/2 Santenay 1er Cru. Wir gehen beschwingt hustend nach Hause.


Wir müssen verrückt sein: Statt uns nordöstlich durch die besten Lagen zu trinken, fahren wir südwärts weiter