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Dienstag, 31. Mai 2022

Deutschland ohne e – die 18. Etappe: Pferdeherde, schöne Töne und Holunder-Wunder

Nach Potsdam kommt die Havel

Der wohl schönste Tag der Reise, und er hat schon toll angefangen: mit einer Kerze und einer Einladung nach Frankreich. Ich muss allerdings die Hälfte selbst bezahlen.


Aus Potsdam heraus geht es entlang der örtlichen Marina. Sportstätten aller Art, Gastronomie, Bootshäuser, Ruderclubs. Wir erreichen Werder, die Kleinstadt, aus der am Sonntag der Vater mit seinen zwei Kindern auf dem interessanten Fahrrad kam. Die Stadt ist leider weniger interessant als der Vater bzw. das Fahrrad.


Danach beginnt ein Landschafts- bzw. Naturschutzgebiet, wie wir es noch nie gesehen, geschweige durchfahren haben. Völlige Ruhe, kein Auto, weite Weiden mit Pferden und Kühen. Man könnte auf die Idee kommen, dass verlassene deutsche Gebiete zu Naturschutzgebieten umgewidmet werden, damit man nicht darüber nachdenken muss, wie man sie wieder reanimieren kann.


Irgendwo rechts fließt die Havel, aus den Bäumen melden sich Vögel, die wohl mit unserer Anwesenheit unzufrieden sind. Links läuft ein schmaler Kanal, in dem Frösche quaken, am Rand des Schutzgebietes landet ein Storch hinter einer Mähmaschine, um zu sehen, was in der frischen Mahd zu holen ist. Überall riesige Holunderbüsche, überall Holunderduft.


Kurz vor Mittag im Nirgendwo an der Havel


Wie alles Schöne, muss auch dieses zu Ende gehen. Mit anderen Worten: Wir erreichen Brandenburg an der Havel.


Die Stadt kündigt sich bei Wust mit einem EKZ an. Da wir Wasser brauchen, versuchen wir, einen Zugang zu finden. Das ist nicht einfach, da es zwar viele, überwiegend freie Parkplätze und reichlich Logos an der Fassade gibt. Aber nur drei Zugänge. Und wenn man da reinschaut, möchte man da nicht reingehen.


Also weiter gen Brandenburg. Der Radweg führt zunächst durch ein Gewerbegebiet, er ist gepflastert und bei jeder Einfahrt auf ein Betriebsgelände mit quer gesetzten, zwei Zentimeter hohen Steinen abgegrenzt. Das heißt: Bei jeder Einfahrt gdeht es mit Kadong runter und nach drei Metern mit Kadong wieder hoch.


Welcher Depp kommt auf sowas?


Im weiteren Verlauf wird der Weg zum schmalen Begleiter einer von Lkw hoch frequentierten Landstraße. Irgendwann erreichen wir einen lokalen Getränkemarkt und gönnen uns etwas frisches Wasser. Danach einen Affogato im Zentrum dieser bemitleidenswerten Stadt.


Betriebswohnbau für das ehemalige Bahn-Ausbesserungswerk in Kirchmöser


Weiter fahren wir in Richtung Malge und Kirchmöser. Wieder auf traumhafter Strecke entlang des Wassers, diesmal mit einem netten „Anhängsel“, einem Mann aus der Gegend, der die günstige Gelegenheit einer Zugmaschine nutzt.


Unsere Bleibe ist noch auf dem Weg zu künftiger Blüte

Gegen vier kommen wir am Schloss Plaue an. Das Bauwerk, seine Nebengebäude und den große Schlosspark hat ein Investor aus Berlin gekauft. Er hat erste Gästezimmer eingerichtet, eine Schlossschänke eröffnet und bietet das Areal als Kulisse für Hochzeiten und Feiern aller Art an.


Direkt am See – Achtung: Mücken, die große Stichwunden hinterlassen – liegen außerdem vier Hausboote, die viel besonderes Ambiente für zwei oder bis zu sechs Personen bieten. Das ist alles sehr fein gemacht und durchaus bezahlbar, aber man fragt sich, was man hier im Ort machen soll, wenn man erstmal da ist.


Einmaliger Blick aus dem Hausboot Emma auf den Plauer See


Mangels Alternativen gehen wir hier essen. Es ist ein Stück weg, man sieht also viel von Plaue. Die Küche bietet griechische Kost, der Mokka nach dem Essen dauert mehr als 15 Minuten. Wir gehen lieber, bevor er kommt.


Traumhafte Landschaft, unterbrochen von albtraumartigen Orten