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Montag, 8. August 2011

08.08. Interlude: Guten Morgen, Eva.

Wir sind tatsächlich im Süden angekommen und brechen in Kürze in Cahors auf. Allerdings fahren wir erstmal Richtung Osten und von irgendwo südwärts nach Albi. Wenn alles gut läuft, sind wir wohl schon am Donnerstag in Toulouse.

Passt euch das? Oder ist es zu früh?

Zwei Bitten haben wir noch: Wir würden gern 1x eure Waschmaschine benutzen. Wir würden unsere Räder gern bei einem guten Mechaniker auf Verschleißteile überprüfen lassen (Züge, Bremsgummis, Kette usw.) – kennt ihr evtl einen? Oder einen, der einen kennt?

Liebe Grüße
momi

06.08. 16ème étape: Argentat–Gramat (60,94 km, 2:59:21) (Sentier d'interprétation)

C'est l'été, Monsieur.

Der Abschied aus Argentat fällt durchaus schwer. Wir waren bestens untergebracht und hätten gern noch einen Abend bei Monsieur gespeist. Aber wo kein Platz ist, ist kein Platz.

Also plündern wir erstmal die ALDI-Regale und machen uns dann auf, dem Regen davon zu fahren. Auf dem Weg nach Beaulieu-sur-Dordogne klappt das ausgezeichnet, die 24 Kilometer vergehen wie im Fluge, ab und zu ein paar Tröpfchen, mehr kommt nicht von oben. Zwischendurch ist Brivesac „en fête“, da machen wir etwas langsamer.

Beaulieu ist ein schöner Ort mit vielen Touristen und dementsprechend viel Trubel, außerdem ist Samstag, was ebenfalls nicht zur Beruhigung beiträgt. Ich schlage vor, das Glück nicht weiter auszuloten, sondern hier Station zu machen, um dem Regen auszuweichen (in Argentat wären wir ja auch geblieben). Das gewünschte Hotel ist leider complet. also fahren wir doch weiter in Richtung Saint-Céré.

Um dort hinzukommen, müssen wir durch Bretenoux, wo sich heute alle treffen, die ein funktionsfähiges Transportmittel ihr eigen nennen. Wir gehören eindeutig dazu und schlängeln uns notgedrungen durch Straßen, über Bürgersteige, über Kreisel usw. Nächsten Samstag müssen sie allerdings ohne uns auskommen.

Viel Regen im Land, wenig Wasser im Kanal.

Das Mittagessen verlegen wir an den Kanal in Saint-Céré. Die Hauptattraktion sind zwei Schwäne, die ein paar Meter entfernt ihre Mittagstoilette vollziehen und dabei immer wieder Federn lassen, die wie kleine Schiffe mit der Strömung weiter ziehen. Das erinnert uns daran, dass auch wir irgendwie weitermachen wollen.

Per Logis-Katalog machen wir uns auf die Suche in der Umgebung. Die erste Wahl ist bereits ausgebucht, das liegt am Sommer, der zweite Anruf bringt mehr Erfolg. Den Weg dorthin haben wir uns jedoch anders vorgestellt: Die ersten drei Kilometer rollen wir munter am Kanal, dann kommt der Kreisel und die Schilder weisen mal wieder aufwärts; fünf Kilometer Serpentinen, 13 Kilometer Hügellandschaft.

Hier wollten wohl nicht viele bergauf.
Unten wäre es bestimmt ebenso schön gewesen.
Nur noch elf Kilometer.
Saint-Céré in weiter Ferne.

Irgendwie meistern wir auch diesen Aufstieg und fahren mitten in die örtliche Duld. Das Lion d’Or liegt direkt daneben, auf der Terrasse einige Gäste, der Patron begrüßt uns freudig. Er wirkt wie Gargantua und entpuppt sich als großer Rugby-Fan. Nachdem wir uns eingerichtet haben, gehen wir runter, kurz darauf bricht draußen der lange erwartete Regen nieder und füllt die Fahrgeschäfte der Schausteller. Einer trägt's mit besonderem Humor, er spielt die passende Musik.

In der Höhle des Löwen.

Leider ist im Hotel nicht alles so, wie es sein sollte. Das WiFi funktioniert nicht, die Tür von Bad und Klo lässt sich nicht schließen, von der Restaurant-Decke blättert die Farbe ab und zum feinen Wein-Menu werden angestoßene Teller und billige Gläser auf den Tisch gestellt – das Verhältnis von Preis und Leistung stimmt hinten und vorne nicht.

Martine, die Kellnerin im ärmellosen schwarzen Zelt, steht dem Chef in Sachen Leibesfülle in nichts nach, die ukrainische Praktikantin trägt die Speisen auf einem Silbertablett, Martine platziert die Teller auf dem Tisch, annonciert die Gerichte und klemmt sich dann die Serviette wieder unter die Achsel. Dem Zuspruch der Gäste tut das übrigens keinen Abbruch. Während unserer Zeit im Restaurant zählen wir 32 besetzte Plätze.

La langue d'oc.

Der Rummel vor der Tür inspiriert uns zum Bummel durch die Gassen. Am überdachten Markt feiern die Gramatiens den baskischen Abend des lokalen Sportvereins mit passender Tracht, passendem Essen, passender Musik und passender Stimmung. Eigentlich können wir uns den Weg nach Saint-Jean-de-Luz fast schon sparen. Ich frage einen Passanten, ob er aus dem Ort kommt, er versteht mich nicht, schaut aber, als hätte ich seine Familie ausgelöscht. Sein Begleiter übersetzt, verneint und zieht ihn weiter.




Auf der Duld geben sich Kinder und Erwachsene dem kostspieligen Treiben hin. Ein Vater wirft an der Münzschiebe immer wieder nach und trainiert dabei gleich den dreiköpfigen Nachwuchs, andere Eltern versuchen ein Stofftier fürs Kind mit einem Greifarm zu fangen, der jedoch immer genau dann wieder loslässt, wenn man meint, alles im Griff zu haben. Das Mädchen nölt, die Eltern werfen nach – insgesamt scheint diese Attraktion ein besonders gutes Geschäft zu sein, denn allein von diesem System stehen ca. 40–50 Spielplätze zur Verfügung.

Feier-Abend in Gramat.

Wir haben genug gesehen. Morgen fahren wir weiter. Denn es soll nicht regnen, aber ab Mittwoch soll es heiß werden, und da ist jeder bereits gefahrene Tag ein gewonnener Tag.

04.08. 15ème étape: Mauriac–Argentat (55,94 km, 3:19:59) (Éboulement)

La silence de chaqun assure le repos de tous.

Nach dem Frühstück stocken wir noch kurz unsere Wasserbestände auf, dann fahren wir auf bekanntem Weg zur Stadt hinaus und über Chalvignac lange schön abwärts. Bis zur Barrage de l'Aigle, wo die EdF das Wasser der Dordogne zu Gold macht.

Zum Abschied ein Blick auf Mauriacs schönste Seite.

Wir fragen einen vorbei kommenden Mitarbeiter nach dem weiteren Weg, er bemüht daraufhin sein Navigationssystem, bestückt uns mit Broschüren über die Gefahren des plötzlich anschwellenden Wassers durch die Stromproduktion und repräsentiert seine Firma ausgezeichnet.

Bergauf tun die Beine vom Treten weh, bergab die Hände vom Bremsen.
Mo stellt die Tatsachen auf den Kopf.

Die nächsten Kilometer geht es gnadenlos aufwärts. An einem Erdrutsch überholt uns ein Rennradler mit Stahl in den Waden, er ist völlig baff, dass sich eine Frau diese Strecke hinauf traut (noch dazu mit Gepäck) und feuert Mo lautstark an.

Schmale Stelle, breite Zustimmung.
Nicht mehr weit bis zur Überraschung des Tages.

Am höchsten Punkt des Tages erwartet uns Auriac (nicht zu verwechseln mit Aurillac, das ist weiter östlich), ein perfekt restaurierter und in Schuss gehaltener Weiler. Wir sind so baff, wie der Kollege weiter unten am Berg und lassen lange die Blicke schweifen:


Am Ortsausgang erwartet uns eine weitere Überraschung: Les jardins Sothys. Dabei interessieren uns Gärten, Boutique usw. viel weniger als das Restaurant, denn wir haben festgestellt, dass wir wieder einmal kein Mittagessen eingekauft haben. Das einzige Problem: Wir sind in bunte Pellen gekleidet (© Elsemarie Maletzke) und werden deshalb als Gäste nicht zugelassen. Gut, dann essen wir halt unsere gesalzenen Cashew-Nüsse, die Tüte ist selber hässlich und fragt nicht nach dem Leibchen dessen, der sie aufreißt.

Bei uns heißen die Orte eher Kaltwasser oder Eiskeller.
Zu kurz gesprungen.

Ab Auriac geht's hügelig weiter, dann wieder fünf Kilometer lang steil abwärts bis zur nächsten, deutlich größeren Barrage.

Très panoramique.
Kleine Freude am Wegesrand.

Die EdF staut an dieser Stelle knapp 200 Millionen Kubikmeter Wasser und produziert damit über 282 Megawatt Strom pro Jahr – seit inzwischen 60 Jahren.

Stilles Wasser ...
... fällt tief.

Ab der Barrage geht es auf Höhe der Dordogne zehn Kilometer weit flussabwärts. Anfangs ruhig, weil die Stromproduktion jede sonstige Nutzung des Gewässers verhindert, dann ist der Fluss plötzlich von Kinderlachen und sonstigem Remmidemmi erfüllt. Mit gebührendem Sicherheitsabstand taucht ein riesiger Campingplatz auf, dessen temporäre Bewohner sich voller Eifer dem Wasser hingeben.

Irgendwie ist man der EdF dankbar, dass sie mit ihrer Arbeit an einigen Stellen sichtbaren Umweltschutz betreibt.

Als Argentat in Sichtweite kommt, steigt unser Puls. Die Stadt sieht einladend aus, und wir haben schon gesehen, dass es ein Hotel nach unserem Geschmack geben soll. Da wir früh dran sind, setzen wir uns erstmal an den Platz vor dem Office de Tourisme und gönnen uns (nach den salzigen Nüssen) etwas Süßes: zwei Paris-Brest und zwei Obsttartes

Argentat auf den ersten Blick.
Argentat auf den zweiten Blick.

Danach lasse ich mir im Office de Tourisme den Weg zum Hotel erklären. Wir rollen langsam hin und wären beinah zu spät gekommen, denn wir bekommen das letzte Zimmer. Und direkt nach uns kommen drei Menschen, die unverrichteter Dinge abziehen müssen. Obwohl „das letzte Zimmer“ für sie eigentlich viel passender gewesen wäre.

Es ist ein Dreizimmer-Appartement unterm Dach mit großem Bad, separater Toilette und großer Küchenzeile – fast wie unsere alte Wohnung. Der Preis ist lächerlich, und ich beantrage abends bei Madame eine Fortsetzung unseres Aufenthaltes. Schließlich freut sich Mo aufs Schwimmbad und wir beide uns aufs Essen.

Madame willigt ein, abends gibt's Ravioles de homard et Saint-Jacques au coulis de crustacés und Escalope de foie frais de canard aux pèches et son caramel d’épices gefolgt von Tournedos de boeuf sauce Cahors, Plateaux de fromages und Desserts maison au choix. 

Den Apéritif bringt die Praktikantin aus Thüringen, die sich am Nachbartisch mit einer jungen Französin auf Deutsch herumschlagen muss. Den Cahors bringt der Oberkellner. Wir haben das Gefühl, dass in Frankreich praktisch alle Deutsch sprechen.

05.08. Jour de travail: Argentat (0 km, 24:00:00) (Un arbre – une vie pour une autre)

„Was heißt eigentlich Massage auf Französisch?“

Morgens nicht so früh raus und dann etwas langsamer weiter. Gestern kamen noch drei Aufträge, die heute abgearbeitet werden; hier fällt das leichter als anderswo. Wenn wir dem Wetterbericht trauen dürfen, wird es morgen ganztägig heftigst regnen (12 Liter pro qm), so dass ein weiterer Tag hier im Hotel sehr gut passen würde. Leider ist Madame ausgebucht, sie will aber sehen, was sich machen lässt.

Ein Wetter zum Verweilen.

Vormittags gehen wir noch fix einkaufen, unten an den Quais spazieren und anschließend den Bart schneiden. Gleich nach dem Vergnügen dann die Arbeit und gegen halb zwei gibt's Mittagessen. Anschließend mehr Arbeit, da noch ein vierter Auftrag eingegangen ist, und dann an und in den Pool. Den Beinen tut das Wasser sehr gut, mir wäre zwar eine Massage noch lieber, aber ich weiß nicht, was das auf Französisch heißt.

Wer gerne Holländisch isst, wird hier fündig.
In Argentat haben viele am Wasser gebaut.

In Beckennähe sitzt ein rauchender Mann, der mit jeder Faser seines Körpers signalisiert, dass er hier nicht hin gehört. Ab und zu raunzt er auf Englisch zwei Kinder von ca. acht bis zehn Jahren an, dass sie nicht so rumschreien sollen. Da das nichts hilft, geht er irgendwann und setzt sich abseits zu zwei Frauen und einem älteren Mann.

Der Unglückliche ist offensichtlich der ungeliebte Schwiegersohn. Die Kinder schreien und toben weiter.

Der Ältere steht auf, kommt zum Becken und spricht sehr leise mit den Kindern. Er sagt ihnen, dass er seit geraumer Zeit nur sie hört, weil sie so schreien. Und er sagt ihnen, dass er hier nicht derjenige sein will, über den sich die Leute das Maul zerreißen, weil er diese lauten Enkel hat. Danach bleibt er und bändigt den Nachwuchs für ca. 20 Minuten. Als er geht, beginnt der Pegel langsam wieder zu steigen. Immerhin hat er uns genug Zeit verschafft, um etwas zu schwimmen und zu ruhen.

Dann wird es auch für uns Zeit, denn wir müssen die Strecke für die folgenden Tage bestimmen und ein paar Sachen waschen. Ich hoffe, wir dürfen in Toulouse ein Mal die Waschmaschine benutzen. Im Vorgriff habe ich eine frische Unterhose angezogen.

Abends essen wir wieder draußen und gucken die Leute an. Vorneweg gibt's Tête de veau gribiche und Emincé de melon au vin de noix, dann zwei Onglets au bleu d’Auvergne, zwei Plateaux de fromages und Desserts. Der Bergerac ist super dazu, wir sind müde.