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Freitag, 31. August 2012

2. Juni 2012, der vierundzwanzigste Tag: La Rochelle–Talmont-Saint-Hilaire, 108,13 km

Ins Land von Gâche und Muscadet

Wir frühstücken am Fenster (wenig erfreuliche Aussicht), packen und schauen unten kurz in den „Frühstücksraum“. Er sieht aus wie eine schlechte Jugendherbergs-Kantine mit Selbstbedienung, Plastikgeschirr und -besteck; trotzdem sitzen da Menschen und essen. Das Angebot des Hauses ist laut großem Schild neben der Tür komplett Markenware, und tatsächlich ist alles von KRAFT, Unilever, Danone und Konsorten in Einzelportionen abgepackt (Butter, Marmelade, Wurst, Milch, Schmelzkäse usw. – das gesamte Elend der modernen Lebensmittelindustrie).

Also schnell in die Innenstadt. Das Office de Tourisme öffnet erst um neun Uhr, was uns eine halbe Stunde Zeit für einen Café am Hafen schenkt. Und dann gondeln wir mit einer kostenfreien Karte für den weiteren Weg fröhlich durch die Stadt.

Adieu La Rochelle, der Himmel winkt zum Abschied

Zunächst geht es durch den Parc Charruyer, der sich von den Hafenanlagen bis in den Norden La Rochelles erstreckt. Dort angekommen, passieren wir den örtlichen Tauchklub und kaufen auf der nahen Avenue de Fétilly bei Lidilly  ein.

Wir lernen, dass unsere Radkarte nicht nur kostenfrei war, sondern auch ziemlich wertlos ist. Nach einigen Fehlversuchen und Gesprächen mit unschuldigen Passanten finden wir aber doch einen Radweg, auf dem wir uns weiter verfahren und trotzdem irgendwie nach Nieul-sur-Mer kommen.

Klein und fein und sehr entspannt

Der Ort ist klein und macht einen angenehmen Eindruck. Während Mo das Klo okkupiert, trifft mich ein älterer Herr, der sich als erfahrenen Radler positioniert, uns den weiteren Weg an die Küste und direkt an ihr entlang nordwärts weist. An einigen Stellen erweist sich dieser Weg als ein bisschen schwierig, insgesamt kommen wir aber gut und schön voran.

Kurz vor Esnandes passieren wir einen Flohmarkt mit Hüpfburg und allgemeiner Familienbespaßung, was für alle Beteiligten einige Gefahrenmomente mit sich bringt. Im Ort wechseln wir auf die D105 nach Charron, von wo wir auf der D9 über die Brücke der Sèvre Niortaise fahren, die Charente-Maritime und Vendée trennt.

Einen Hinweis auf die Piste cyclable gibt es nicht, deshalb fahren wir auf dem gut ausgebauten Radweg weiter. Leider in die falsche Richtung.

Il était une fois une piste cyclable ...

Nach drei Kilometern merken wir, dass es so nicht weiter geht, fahren zurück zur Brücke und finden dort tatsächlich einen Hinweis auf die gesuchte Piste. Erst ist sie schwer zu finden, dann schwer zu fahren, weil bis auf einen schmalen Streifen völlig überwuchert.

Nach einigen Kilometern ist der Spuk vorbei, unser Weg mündet in eine asphaltierte Straße, links und rechts stehen kleine bäuerliche Anwesen. Drei andere Radler machen hier Pause, sie kennen sich offensichtlich gut aus und erklären den hinter uns liegenden Weg damit, dass an dieser Stelle vor zwei Jahren eine Riesenwelle den alten Weg wegriss, Farmen überflutete und 40 Menschen und rund 250 Tiere das Leben kostete. Für die folgende Strecke finden sie nur lobende Worte: gut beschildert, guter Belag.

Wir geben Gas und durchqueren auf Wirtschaftswegen riesige Korn- und Paprikafelder. Die Verbindungsstücke zwischen einzelnen Abschnitten des Weges sind schlecht, aber alles ist sehr gut beschildert. Das Korn ist hier bereits deutlich höher als in Deutschland und überall schon fast reif. Bei Saint-Michel-en-l'Herm machen wir in einer offenen Halle Mittagspause – es ist heiß!

Nur tote Fische schwimmen oben, hier sind das alle

Nach rasanter Weiterfahrt erreichen wir La-Tranche-sur-Mer, am Super U gibt's die fünf Schokoladen-Quader, die wir heute morgen bei Lidl erstanden haben (sie sind inzwischen so weich, dass wir sie aus der Verpackung lutschen können) und vier neue Fläschchen Wasser. Damit hat jeder von uns auf knapp 75 km drei Liter verbraucht, da sollte sich Herr Winterkorn mal ein Beispiel nehmen!

Die zunehmende Hitze macht den weiteren Weg zunehmend anstrengend, wir werden über Fußwege links und rechts der Straße geschickt und haben das Gefühl, mehr Sightseeing als Strecke zu machen. Überall blüht der Holunder, dessen intensiver Geruch uns seit den ersten Kilometern dieser Reise begleitet. Als nächsten Ort mit Hotel identifizieren wir Talmont-Saint-Hilaire. Wir reservieren per Telefon aus einer menschenleeren Bar am Rand der Rue de l'Océan in Jard-sur-Mer, wo man körperlich spürt, wie der ganze Ort nur darauf wartet, dass endlich die Saison ausbricht.

Es geht weiter kreuz und quer, bis wir endlich feststellen, dass wir unser Hotel vom Meer aus gar nicht erreichen können. Der Verzweiflung nahe fahren wir in östlicher Richtung zurück, erreichen nach einiger Zeit die D21 und fahren in den Ort hinauf. Zwischendurch schauen wir immer wieder auf den Routenplaner und hoffen, eine Abkürzung zu finden – leider ohne Erfolg. Es gibt nur den Weg hinauf zum Ort. Und dann wieder hinunter zum Strand.

Irgendwann nach sechs und mit knapp 110 Tageskilometern in den Beinen sind wir endlich da, die Leute sind etwas spröde, das Hotel wenig einladend. Wir duschen, Mo ruht etwas, danach nehmen wir die HP: fünf Super-Austern vom Stand gegenüber, Foie gras, Kabeljau-Rücken mit Kartoffelpüree mit Brie de Meaux und die Côte de Cochon pour moi. Dazu einen sehr guten Muscadet! Und sogar die Chefin ist von Gang zu Gang ein wenig aufgetaut.

Vor dem Schlafengehen lerne ich via Skype von meiner Mutter: Im Atlantik kann man nicht schwimmen, Biarritz ist ein Taucherparadies und im Westen ist es abends nicht länger hell als im Osten.

Gute Nacht.

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