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Mittwoch, 27. Juli 2011

26.07. 8ème ètape: Montceau-les-Mines–Saligny-sur-Roudon (78,32 km, 3:56:21) (Access interdit sauf fauteuils roulants)


Das Frühstück im Hotel ist deutlich besser als zu erwarten war; beim Nachfüllen des Buffets gibt es noch Luft nach oben, dafür funktioniert plötzlich das WiFi. Um uns herum sitzen viele offensichtlich Einheimische, die man ihrem Alter entsprechend eher am Arbeitsplatz erwarten würde. Später in der Stadt sehen wir diesen Trend bestätigt, die Arbeitslosigkeit in Stadt und Umland muss hoch sein.

Nach dem Auschecken fahren wir den grünen Radweg-Schildern nach. Natürlich bergauf, natürlich falsch. Oben angekommen, finden wir einen Auto-Service, der mein Vorderrad mit kostenfreier Luft füllt, danach fragen wir einen, der wissen muss, wo's lang geht: den Postboten. Er schickt uns runter zu unserem Hotel und gibt klar die Richtung vor – tout canal, tout canal.

Einerseits: Wir haben Erhebendes hinter uns.
Andererseits: Wir haben Großes vor uns.

Den Canal du Centre begleiten wir auf einer schmalen Straße, der Verkehr läuft nördlich an uns vorbei auf der N70, der Route Centre Europe Atlantique. Es geht leicht rauf und runter, durch kleine Orte, immer wieder sehen wir riesige Binnenschiffe (zumindest im Vergleich zu den vielen Penichettes), und wir fragen uns, wie die wohl durch die Schleusen kommen. Sie kommen tatsächlich durch, wir haben zwei Mal zugeschaut, es hätte aber an allen vier Seiten kein Blatt Papier mehr dazwischen gepasst.

Statt der üblicherweise am Fahrbahnrand verwesenden Tierkadaver (Igel, Katze, Vogel) hat der nächtliche Straßenverkehr hier einen anderen Kollateralschaden hinterlassen: eine ziemlich ausgewachsene Biberratte; auf ein Foto haben wir aus Gründen der Pietät verzichtet.

Mit den Minen starben auch die Zulieferer.

Am Ortsausgang von Palinges passieren wir die ehemalige Ligne de démarcation, kurz darauf erhalten wir von ganz oben in Form einer tiefschwarzen Wolke die Nachricht, dass wir besser etwas essen gehen sollten. Das machen wir in der Auberge de Digoine, unweit des gleichnamigen Schlosses. Das Gute fängt schon damit an, dass die Chefin bereitwillig ein paar Tische unter der Veranda zusammen schiebt, damit unsere Räder Platz finden, drinnen dann viel mehr Raum als erwartet und vier Frauen, die ihren Job mit Freude und Klasse machen.

Busse willkommen, Qualität nicht verabschiedet.

Wir votieren für Plat du jour zum Preis von 12 Euro: Entrées vom weitläufigen (und leckeren) Buffet, Poulet mit Erbsen-Möhren-Gemüse, Käse, Dessert-Buffet, Wasser, Wein, Café, es nimmt kein Ende. Unsere Kellnerin bringt ungefragt die zweite Carafe d'eau, bietet uns frische Teller für einen Nachschlag beim Dessert an – ein Leben wie Tourist in Frankreich.

Dabei haben die Damen auch ohne uns genug zu tun. Etwa 70 Prozent der Plätze im Restaurant sind besetzt, im Saal nebenan werden ca. 40 ältere Menschen bewirtet, die wohl vor oder nach der Schlossbesichtigung noch etwas für den Gaumen tun wollen, und allen schmeckt's offensichtlich sehr gut.

Wir können den Kanal einfach nicht voll kriegen.

Kurz vor Paray-le-Monial schreckt uns die gesperrte Straße, ein Rennradler macht uns Mut, weiter zu fahren, was wir den von ihm angedrohten Anstiegen links und rechts auch eindeutig vorziehen. Wie so oft im Leben, wird der Mut auch hier belohnt. Der Bautrupp macht noch Mittag als wir kommen, so dass der Weiterfahrt zwar eine massive Hebebühne im Weg steht, die wir aber elegant umkurven können.

Schon wieder nichts, was uns aufhalten könnte.

Bei der Ortsdurchfahrt sehen wir am Hafen riesige Zelte über eine noch riesigere Grünanlage verteilt, viele junge Menschen, fröhliche Gesichter – ich tippe auf Pfadfinder, Mo denkt an eine musikalische Darbietung. Wir fragen eine Frau, die ihr Mittagessen mit Kindern auf einer Bank am Rande des Geländes verzehrt, sie sagt uns, dass es sich um die jährliche Kongregation der Gemeinschaft Emmanuel handelt, und lädt uns ein, gleich da zu bleiben. Da wir für den Abend bereits verabredet sind, müssen wir ablehnen. Zur Strafe fragt sie mich, ob wir Deutsche seien.

Von Paray-le-Monial sind es nur noch ein paar Kilometer nach Digoin, wo ich am Hafen eine Frau frage, ob es vor Ort einen Fahrradladen gibt. Sie bezweifelt das zunächst, sagt dann aber, dass sie mal im Bureau fragen wolle. Im Abdrehen fragt sie mich, ob ich Deutsch spreche. Ich antworte: „Ja, auch!“

Sie kommt zurück, weist uns den Weg zu E. Leclerc Sports & Loisirs und erzählt, dass sie aus Brügge kommt und es „hier toll zum Leben ist“. Dem können wir mit unseren bisherigen Erfahrungen nur zustimmen. Bei Leclerc bekomme ich die passenden Schläuche (schwere Geburt) und habe Gelegenheit, der Kassiererin dabei zuzuschauen, wie sie mittels perfekt modellierter Fingernägel versucht, einen Taschenrechner dazu zu bringen, ihr den Preis eines T-Shirts abzüglich der endgültig letzten Preisreduktion zu verraten. Sie tippt drei, vier, fünf Mal ergebnislos, wirft das blöde Dinge frustriert auf den Tresen, probiert es erneut und nimmt dem jungen Käufer letztendlich 4,33 Euro ab. Sicher kein schlechtes Geschäft. Für ihn.

Ich zahle, trage die Schläuche hinaus und gehe mit meinem Helm gleich wieder hinein. Eine weitere Kollegin frage ich, ob es die Schweiß-Einlagen im Helm auch als Ersatzteile gibt. Sie sagt, dass sie nachschauen müsse, und kommt kurz darauf mit ihrer Beute zurück. Ich bin nicht sicher, ob die Teile passen, frage also erstmal, was sie kosten, und sie strahlt mich an: „Un sourire et un merci.“ Da ich beides mehrfach bei mir trage, sind wir uns schnell einig.

Wir fahren gleich wieder zurück an den Kanal, wo uns Sehenswertes erwartet:

Loire trifft Kanal.
Kanal trifft Loire.
Karte trifft Loire und Kanal.

Von Digoin nach Pierrefitte-sur-Loire ist es nicht mehr weit, uns reicht's aber langsam. Direkt am Kanal überqueren wir die kurze, steile Brücke, und dann geht es noch fünf Kilometer südwärts in Richtung Saligny-sur-Roudon. Die Straße führt hauptsächlich bergauf, meist mehr, selten weniger. Kurz bevor es hinab in den Ort geht, sieht Mo rechts die Reithalle und den Stall des Gestüts, das wir besuchen wollen. Wir biegen ab, noch dreihundert Meter, dann ist das Tagesziel erreicht.

Hier ist es schön, hier bleiben wir ein paar Tage.
Bitte beachten: Die Sättel sind nicht aus Pferdeleder.

Die Züchterinnen wissen, dass wir kommen, freuen sich trotzdem, und wir machen uns einen schönen Abend bei Salat, Käse und Wein. Mit am Tisch sitzen zwei Praktikantinnen aus den Niederlanden, die im Rahmen ihrer Pferde-orientierten Berufsausbildung ein mehrwöchiges Praktikum im Ausland absolvieren müssen und sichtlich zufrieden sind, dass sie einen Platz mit starken Bezügen ins Heimatland gefunden haben.

Wir machen voraussichtlich zwei Tage Station, waschen schmutzige Wäsche und bereiten uns auf das Neuland vor, das wir mit der Abfahrt beradeln werden.

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