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Donnerstag, 12. Juli 2012

18. Mai 2012, der neunte Tag: Avignon–Beaucaire, 38,02 km

Südfrankreich kommt immer so plötzlich

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist eine zwar weit verbreitete, aber definitiv falsche Annahme. Bei uns war die Hoffnung auf gutes Wetter schon in der Nacht verstorben und aus dieser misslichen Lage kann sie sich auch während des Frühstücks, das von dunklen Wolken und dem regelmäßigen Tropfen des Regens begleitet wird, nicht befreien. Auch das Frühstück selbst hat keine Fortschritte gemacht, es gibt die gleichen, in Alu verpackten Kalorienbringer wie tags zuvor.

Gegen neun legen wir in Avignon an der „kleinen Rhône“  an, wir haben natürlich längst gepackt und gehen erstmal auf eigene Faust in die Stadt. Der Regen hält uns zunächst davon ab, unnötig viel Zeit auf den Straßen zu verbringen (wir haben überraschenderweise keinen Schirm dabei).

... und plötzlich sind wir in Südfrankreich!

Unser erstes Ziel ist sowieso die lokale Einkaufsmeile, Mo will gucken, und mir rutscht mangels verbliebener Hüften jede Hose, so dass ich einen Gürtel brauche. Die Rue de la République bietet für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas Passendes, mir passt der 14,90-Gürtel bei H&M.


Schräg gegenüber kriegen wir bei einem bekannten amerikanischen Bulettenbrater gegen Bestellung und Bezahlung von zwei Café einen kostenfreien Internetzugang, der es uns erlaubt, uns nach zwei Tagen mal wieder ums Geschäftliche zu kümmern. Auf unserem Schiff gab's solche technischen Extravaganzen leider nicht.


Interessante Einblicke im Vorübergehen


Der weitere und Rückweg durch die Stadt ist beeindruckend: großartige Gebäude, prächtige Plätze und päpstliche Paläste. Wir können nur staunend vorüberhuschen, denn unsere Zeit ist knapp – der Regen hat aufgehört. Nach einem kurzen Abstecher ins Souterrain von Casino erreichen wir kurz nach elf unser Schiff, holen die Räder vom Oberdeck und satteln auf.

Nach kurzem Abschied vom verfügbaren Teil der Besatzung schieben wir von Bord, genau rechtzeitig, um all den Passagieren entgegen zu fahren, die gerade vom Landausflug zurück kommen und die Fahrt fortsetzen müssen. Es ist gleich zwölf, bald gibt's Mittagessen.

On y danse, on y danse ...


Wir gondeln noch kurz am Ufer hin und her, dann folgen wir einem Uferpfad und einer stillgelegten Landstraße in Richtung Süden. Irgendwie läuft alles nicht wie erwartet bzw. gewünscht, und am Ende stehen wir vor einem riesigen, komplett eingezäunten TGV-Bahnhof am südwestlichen Rand von Avignon. Wir fahren in praktisch alle Richtungen und stehen am Ende immer wieder vor dem gleichen Problem: Der Weg geht direkt in eine Autobahn oder für Fahrräder gesperrte Route Nationale über.

Dieses Elend kostet uns mindestens eine weitere Stunde, dann entscheiden wir uns für die Auffahrt auf die N1007, die erstens kaum befahren ist und uns zweitens sowohl über den Rhône-Seitenkanal als auch die ansonsten unpassierbare TGV-Strecke bringt.

An die Überwindung großer Distanz ist längst nicht mehr zu denken, wir denken vielmehr ans Mittagessen, das wir uns auf einer Mischung aus Baustelle, Gewerbegebiet und Lkw-Parkplatz am Rande der Route d'Avignon gönnen.

Ringsum wird es immer südfranzösischer

Besagte Straße führt uns weiter durch Graveson, knickt dort nach Südwesten ab und heißt plötzlich auch noch D970. Nächster Halt ist Tarascon, die Stadt des legendären Drachen, der an den Ufern der Rhône die Reisenden verschlungen haben soll. Wir können diesem Schicksal erfreulicherweise entgehen (hochschalten und schneller treten hilft oft), schauen noch kurz im örtlichen Château vorbei und machen uns danach über die Brücke nach Beaucaire.

Château de Tarascon, einerseits einladend, ...

... andererseits abweisend

Die Stadt empfängt den Brückenüberquerer mit einem großen Yachthafen, den passenden Bars und Cafés sowie einer von Bäumen überdachten Hauptstraße, die parallel zum Canal du Rhône à Séte durchs Zentrum führt.

Wir würden gern bleiben, stellen aber fest, dass wir für das telefonisch gebuchte Hotel hoch hinaus müssen; es liegt ca. fünf Kilometer außer- und weit oberhalb der Stadt. Im Vorbeifahren machen wir noch Station an einer Tankstelle, um ein bisschen Kettenfett zu schnorren. Die Chefin gibt ihr Fläschchen nicht aus der Hand, sondern sprüht das kostbare Gut eigenhändig auf die Antriebe. Als sie danach auf die Idee kommt, dass eventuell auch ich mal nachgefettet werden müsste, machen wir uns dankend auf den weiteren Weg.

Das Hotel und die gesamte Anlage haben definitiv schon bessere Zeiten gesehen, das erkennt man beim Vergleich des Prospekts mit der Realität. Mo meint, es sei ein „heruntergekommener Laden“, wenigstens gibt es einen Pool.

Fürs Abendessen haben wir keine Alternative, wir sind ja jwd. Also gibt's den Apéritif in der großen, wenig einladenden Halle und anschließend ein kleines Menü im naheliegenden Restaurant. Der Service ist ein bisschen hektisch (die Herrschaften möchten fertig werden), der Wein ist lecker und auch das Essen ist in Ordnung. Mit dem Bestellen tun wir uns etwas schwerer als sonst, weil die Menschen hier so südfranzösisch sprechen. Unsere Kellnerin z.B. schlägt sich auf meine Nachfrage, was denn ein „Kissdellapeng“ sein könnte, mit der linken Hand mehrmals heftig auf den rechten Unterarm und wiederholt das Wort zunehmend energischer.

Irgendwann begreife ich, dass es sich nicht um einen Hilferuf handelt. Sondern um Kaninchenkeule.

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