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Sonntag, 9. Juni 2013

7. Juni 2013 – Aalen–Künzelsau, 99,92 km

Im Ländle der Weltmarktführer

In Aalen fängt der Tag früh an, denn meine Gattin atmet so laut, dass ich bereits um sechs Uhr das Bett räumen muss und am Blog schreiben kann. Um halb acht sind wir dann beide auf den Beinen, machen uns frühstücksfein und packen unsere Siebensachen.

Am Ende des Ganges erwartet uns ein ordentliches Frühstück, die Frauen vom Service sind nett und aufmerksam. Als ich später nochmal zurückkomme, um den Garagenschlüssel zu organisieren, sehe ich, warum das Frühstück so gut ist: Die ganze Truppe sitzt beisammen und bedient sich am gleichen Buffet wie vorher die Gäste.

Wir fahren nochmal in die Fußgängerzone, kaufen Spionle und bewundern beim Metzger die Maultaschenberge, während wir auf die Fertigstellung der Mittags-Brötchen warten. Die Abfahrt verschiebt sich dadurch auf zehn Uhr siebzehn.

Der Weg ist schnell gefunden, und es geht ebenso schnell voran, da nur bergab. Schön ist es auch:

Von den Schönheiten des Radfahrens.

Über Wasseralfingen (wo wir bei EDEKA Wasser und Saft nachtanken), Hüttlingen und Abtsgmünd fahren wir stetig abwärts, teils näher am Kocher, teils ein Stück weiter weg. Unterwegs hat uns die Kulturstiftung Abtsgmünd eine Serie von Skulpturen beschert, die sich mit der Kulturlandschaft von Kocher und Lein auseinandersetzen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle hat diese Auseinandersetzung zur Schaffung von Frauen-Torsi geführt.

???

Kaum raus aus Hüttlingen, schon steht die Marienburg bereit.
Streckenweise öffnet sich das Tal, ...
... da muss man die Ränder näher ranholen.

Über Untergrönningen und Sulzbach-Laufen nähern wir uns Gaildorf, das vor allem Musikfreunden ein Begriff sein dürfte. Für uns entwickelt sich gerade die Mittagspause zum Begriff, zumal wir bei der Einfahrt in die Stadt auf der linken Seite eine Dreier-Radgruppe beneiden, die rastet.

Direkt am Schloss geht es nicht etwa über die Landesstraße 1066, sondern in einer abenteuerlich engen 180-Grad-Kehre steil bergab in den Schloss Park, unter der Brücke durch und nach wenigen Metern umgekehrt wieder steil hinauf - herzlich willkommen auf der anderen Straßenseite!


Vor der Kehre das Stadtschloss.
Nach der Kehre das Brandenburger Tor.

Für uns geht es weiter durch den Ort, direkt am Kocher durchqueren wir das Brandenburger Törle, bewältigen dann einen deftigen Anstieg, an dessen Höhepunkt uns eine ADFC-Bank in der prallen Sonne erwartet. Da macht man gerne Mittagspause.

Während wir unsere Brötchen und den weiten Blick über Großaltdorf, Kleinaltdorf und Gaildorf genießen, kommt die Dreier-Radgruppe vorbei. Sie hat jetzt ein Mitglied weniger, die verbliebenen Herren grüßen en passant.

Vor uns und auffallend oft auch am befahrenen Weg breitet sich hierzuländle die von alters her beschworene schwäbische Tüftelei aus: Mess- und Regeltechniker, Werkzeug-, Filter- und Steuerungsbauer. Überall sieht man kleine und größere Firmen, die die Region genauso prägen wie Kocher und Jagst.

„Ich würde niemals einem Club beitreten, der jemanden wie mich als Mitglied aufnimmt.“

Nach der Pause geht's weiter in Richtung Schwäbisch Hall, vor Rosengarten brettern wir mal wieder an einem Schild vorbei und lernen auf dem Weg zurück ein Geschwister-Paar kennen, das dann mit uns aufwärts fährt. Dies ist wohl die uns schon oft verschwörerisch zugeflüsterte Steigung vor Schwäbisch Hall – und sie hat wirklich alles, was man sich mit mehr als 15 Kilo Gepäck nicht wünscht.

Oben sind alle erstmal ziemlich außer Atem. Mit der noch verbliebenen Luft entwickelt sich ein kurzer Plausch über das Woher und Wohin sowie über Radwege am Main und durch die Vulkan-Eifel. Obwohl wir den Weg getrennt fortsetzen, trifft man sich immer wieder. So zum Beispiel kurz vor Tullau, wo wir an einer Weggabelung Monteure der Radwegsschilder sehen, die ein ganzes Auto voller Werkzeug mit sich führen. Zwei davon überlassen sie mir, damit kann ich Mos klappernden Ständer festziehen.

Auch die beiden Herren der ehemaligen Dreier-Radgruppe, die wir zwischendurch wieder überholt hatten, kommen hier vorbei. Die Teilnehmer sind jetzt ein älteres Ehepaar, und sie brüllt wie eine Wilde herum, dass er endlich weiterfahren solle. Das Dumme dabei: Da die Monteure gerade neue Schilder montieren, kann der arme Ehemann einfach nicht wissen, wo's lang geht.

Wie sind die beiden bloß auf die Insel gekommen?

Die Einfahrt in die Stadt, in der der Bausparvertrag erfunden wurde, ist ein echtes Erlebnis: Nach wolkenfreiem Fernblick rechts hinauf zur Comburg führt der Weg nach links in einen weitläufigen Park entlang des Kochers. Überall spielende Kinder, verliebte Pärchen und das alles laut kommentierende Touristengruppen fortgeschrittenen Alters.

Wir halten uns nicht lang mit der Suche auf, sondern machen Rast im ersten Eiscafé am Ort. Aktuell sind wir bei 66 Tageskilometern. Zwei Cappuccini und zwei Portionen Eis später sind wir keinen Meter weiter. Immerhin haben wir bei Anna Weber im Hotel Anne-Sophie ein Zimmer für die Nacht reserviert. Die Nacht wird nicht billig, aber das Hotel hatte uns der Satteldorfer Engel Brigitte Gröger empfohlen, wir können es nicht auslassen.

Um Viertel nach vier fahren wir weiter, ca. 30 Kilometer liegen noch vor uns.

Der Weg ist jetzt richtig toll! Manchmal geht's zwar noch etwas hoch, aber überwiegend verläuft er eben bzw. leicht abwärts. Als wir nach einem kleinen Waldstück mit knapp 50 km/h wieder hinaus in die Wiesenlandschaft schießen, begeistert sich die Gattin lauthals für die wunderbare Welt der Schwerkraft.

Hitze und Tageszeit setzen uns trotzdem zu, wir sind seit sechs Stunden unterwegs und pausieren öfter. 15 Kilometer vor Künzelsau essen wir die Reste unseres Mittagsmahls, dann wird die Strecke noch schöner. Überall sehen wir die Heuwender, die alles tun, um ihr Heu noch vor den angekündigten Gewittern so weit trocken zu kriegen, dass es eingefahren werden kann – an einer Stelle leisten Vater und Sohn auf einem schmalen, für Maschinen unzugänglichen Streifen, sogar noch Handarbeit.

Ca. sechs Kilometer vor Künzelsau kommen wir bei Kocherstetten endgültig aus dem Wald heraus. Auf den ersten Metern der hier beginnenden Straße frage ich eine entgegenkommende Radlerin, ob die Richtung stimmt. Sie antwortet, dass wir auf der Hauptstraße bleiben sollen. Da bleiben wir erstmal am Straßenrand stehen und rätseln, wo die wohl sein mag.

Offensichtlich hat die junge Frau gemerkt, dass wir die Hauptstraße eventuell nicht kennen. Sie kommt extra aus dem Wald zurück, erklärt uns den Weg und wird damit zum zweiten Engel auf dieser Tour. Denn auf dem Radweg können wir nicht fahren, weiter unten ist ein Deich gebrochen und die Strecke komplett unpassierbar.

Wo die Weltmarktführer zu Hause sind.

Um kurz nach sechs stehen wir vor Anne-Sophie. Wir werden erwartet, freundlich empfangen und von Frau Weber eigenfüßig zu unserer Bleibe im Stammhaus eskortiert. Unterwegs beantwortet sie unsere Fragen zur Notwendigkeit eines solchen Hotels an diesem eher abseits gelegenen Ort: Wir sind umgeben von Weltmarktführern, die hier ihre Geschäftspartner und Besucher beherbergen.

Abgesehen vom Schrauben-Schwaben Würth (dessen Frau zufällig unser Hotel erfand) kennen wir keines der genannten, international aber deshalb nicht minder erfolgreichen Unternehmen.

Gut informiert packen wir unsere Taschen aus, genießen die Dusche und sitzen kurz nach acht auf der Terrasse des Stammhauses. Mo nimmt das Menü mit Lachstartar, Kalbsroulade und Dreierlei von der Erbeere, ich probiere Maultaschen, Medaillons vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein („Auf diese Schweine können Sie bauen“) und einen kleinen Teller lokaler Käse.

Dann ist endlich Schluss für heute.

Durchs wilde Erfindertal.

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