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Samstag, 23. Juli 2011

19.07. 4ème ètape: Dole–Nuits-Saint-Georges (49,93 km, 2:38:26) (Vous n'avez pas la priorité)

„Bon courage!“

Der Preis des Hotelfrühstücks in Dole steht in keinem Verhältnis zum Zimmerpreis, deshalb frühstücken wir in einer Brasserie schräg gegenüber, in der Rue de Besançon. Dort gibt es zumindest Café und Tisch, der Wirt meint, was wir sonst noch brauchen, sollten wir in der Boulangerie nebenan kaufen. Dort liegen die Butter-Croissants für 85 Cent und riesige Rosinenschnecken für 1,20 Euro in der Theke. Ich gebe also ein kleines Vermögen für Backwerk aus, die vier Tassen Café au lait sind auch nicht umsonst, und trotzdem frühstücken wir für nur ca. 70 Prozent des Preises, der im Hotel fällig gewesen wäre.

Anschließend den Rest packen, zahlen, Räder beladen und freundlicher Abschied im Hotel. Madame wünscht „Bon courage!“, wir füllen bei Casino Wasser nach, besuchen die alles überragende Notre Dame mit ihrer sensationellen Orgel und starten anschließend eine kleine Orientierungsfahrt durch die Stadt. Der Plan aus dem Office du Tourisme scheint es mit dem Maßstab nicht besonders genau zu nehmen, die kurze Straße aus Dole hinaus wird in der Praxis immer länger.

An deutschen Orgeln gibt's nix zu norgeln.

Die Ausfahrt in Richtung Champvans führt steil bergauf (wer den Kanal verlässt, ist selbst dran schuld), dann zwei kleine Hügel und schon geht es steil bergab. Ab Tempo 35 flattert bei mir die ganze Kiste, das liegt an der Größe des Rahmens und meiner extremen Zuladung. Anfangs hilft es, die Beine ans Oberrohr zu pressen, als das nichts mehr bringt, greife ich zu den Bremsen.

Einer von fünf, mutiger als vier.

Die folgende Landstraße läuft gut, wir passieren Kreisel um Kreisel und lernen überall, dass wir nicht Vorfahrt haben. Irgendwann kommt rechts eine große Stuten- und Fohlenweide, Letztere liegen zunächst im Gras, springen aber recht fix auf, als sie uns kommen hören und sehen. In Les Maillys freut sich ein lokaler Radfahrer, dass wir ihn nach dem Weg fragen. Er will kaum mehr aufhören, und als uns endlich der Abschied gelingt, lässt er seinem „Bon courage!“ noch ein fröhliches „À votre service!“ folgen. Der nächste größere Ort heißt Saint-Usage (gestern war der Geist noch schnell, heute ist er offensichtlich aus zweiter Hand), nach der Durchfahrt stehen auf beiden Seiten der Straße weite Sonnenblumenfelder und es riecht - nach Sägespänen.

Kleiner Preis, große Klasse.

In Brazey-en-Plaine steht Plat du jour auf der Karte, da fahren wir gerne mal links ran und suchen uns zwei Plätzchen im Restaurant. Die Nachbarn am Tisch arbeiten bereits an Crudités und Jambon persilée, im Fernseher steht der kleine Nick (nein, nicht der) im Hof des Dôme des Invalides im Regen und wartet mit verzweifelter Miene darauf, dass diese blöde Inszenierung endlich ein Ende nimmt.

Dabei ist der Termin mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr gut gewählt: Am letzten Wochende der verlängerte Nationalfeiertag, Thomas Voeckler im Gelben Trikot bei der Tour, gestern donnerten mehrfach die Mirages übers Land und Carla steht vor der Niederkunft. So erlebt das Volk seinen Präsidenten zur besten (Mittags)Sendezeit in einer Glorie aus Pathos, Popstar, Virilität, Fertilität – was kann da noch schiefgehen? Zumal DSK hier auch mit Fotos seiner ungeborenen Affärenkinder nicht mehr punkten wird.

Wir teilen uns Crudités und Jambon persilée, anschließend isst jede/r ein Hühnerbein mit Reis, gefolgt von Ziegenkäse und Coulommiers bzw. Fromage blanc. Zum Dessert wird im Fernsehen die Totenfeier wiederholt, gleich danach folgen Bilder und Gespräche von Campingplätzen aus den Unwettergebieten.

Nach dem Café sind wir 25 Euro ärmer und mindesten 30 Euro zufriedener, die Wirtin ruft „Bon courage!“, wir schwingen uns wieder in die Sättel und kurbeln in Richtung Nuits-Saint-Georges. Regen wechselt mit Sonne und Sturm, wir wechseln die Regensachen mit Saunagefühlen und Angstschweiß. Zum einen, weil jedes entgegenkommende Auto eine Wind- und Wasserwand hinter sich herzieht (je größer, desto wirkungsvoller), zum anderen, weil jedes überholende Auto kurz die Wirkung des von links wütenden Sturmes unterbricht, um uns dann umso hemmungsloser den Böen zu überlassen.

Der Ursprung der Zisterzienser.
Frischer Belag, sehr frischer Wind.

Wir sind sehr froh, NSG bei guter Gesundheit zu erreichen.

Im Office du Tourisme lernen wir, dass ein Ort, der für teure Weine bekannt ist, auch teure Zimmer anbietet. Wir arbeiten uns langsam auf ein erträgliches Niveau herunter, beim Verlassen des Büros ruft die junge Frau hinter dem Tresen – genau, das ruft sie. Wir kommen zum Hotel, packen aus, duschen, ruhen und entschließen uns, morgen bei hoffentlich besserem Wetter ohne Gepäck die umliegenden Weinorte abzuklappern.

Hier hängen die Trauben deutlich höher als anderswo.

Abends im hauseigenen Restaurant gehen Essen & Trinken gut Hand in Hand. Auf die Entrées folgen Hecht bzw. Boeuf bourguignon und zum Nachtisch bekommt Mo endlich wieder Cassis-Sorbet. An den Nachbartischen wird ebenfalls das volle Programm geboten: Eine Dame aus Belgien z.B. schafft es, lauter zu sprechen als meine Schwiegermutter (das hätte ich gestern noch für unmöglich gehalten), und ein Brite in der Ecke beruhigt sein quäkendes Baby während Mutters Abwesenheit mit dem Knistern von Geldscheinen – auf diese Idee muss man auch erstmal kommen.

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