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Sonntag, 24. Juli 2011

20.07. Jour de repos: Nuits-Saint-Georges–Nuits-Saint-Georges (70,38 km, 3:30:04) (Partageons la route)

„Was macht der Punk in Beaune?“

Wer länger bleibt, darf morgens auch länger liegen bleiben. Das machen wir, denn wir müssen Zeit vertrödeln. Unsere nächste vorgebuchte Station erwartet uns nämlich erst am Freitag. Also heute Ruhetag, und der fängt mit einem deutlich überteuerten Frühstück unerwartet schlecht an. Die Butter hat das Verfallsdatum wohl schon länger überlebt, das „Buffet“ ist eine lieblos drapierte Orgie von abgepacktem Zeug, es ist einfach ärgerlich!

Gut, dass es wenigstens rundum viel Schönes gibt, da machen wir uns bald auf den Weg. Auf der D974 fahren wir südwärts in Richtung Beaune, es geht ziemlich auf und ab, aber ohne Gepäck kommt man leichter auf Touren und entsprechend schnell vorwärts. Mo geht es (wie immer) zu schnell, gleichzeitig regt sie sich über die Laster auf, mit denen wir uns die Straße teilen (müssen).

Mit den Autofahrern ist es wie mit allen anderen Menschen auch: die einen wissen, was sie tun, die anderen nicht. Die Fähigkeiten von Köchen, Metzgern, Friseuren, Sängern usw. kann man jedoch oft schon vor dem ersten Kontakt prüfen, und wenn man mit ihren Leistungen unzufrieden ist, geht man einfach nicht mehr hin. Was Autofahrer können, erfährt man dagegen erst, wenn man ihnen zum ersten Mal begegnet, und wenn ihre Leistung nicht zufriedenstellend ist, geht man anschließend vielleicht nie mehr irgendwo hin.

Die D974 ist nicht irgendeine Straße in Frankreich, sie ist an dieser Stelle die „Route des Grands Crus“. Und der Franzose hat sie alle der Reihe nach und schön übersichtlich geordnet rechts der Straße für uns aufgestellt. Inzwischen haben die Rebstöcke auch schon weite Flächen links der Straße in Besitz genommen, wenn es so weitergeht, wird der Burgunder irgendwann vor den Toren Wiens stehen.

Kosten??

Nach 17 Kilometern erreichen wir Beaune, die Kapitale des Burgunders. Hier kostet die 1,5-Liter-Flasche Vittel im Supermarkt nicht plus/minus 50, sondern 94 Cent. Hier hört man die Menschen Deutsch, Niederländisch, Englisch, Spanisch und Asiatisch sprechen, die Landessprache hört man in den Geschäften, sonst eher selten.

Wir leisten uns zum Wasser noch zwei kalorienreiche Backwerke, suchen uns eine Bank in der Fußgängerzone und schauen ein bisschen den Menschen zu. Eine Frau schiebt einen komplett verkleideten Kinderwagen vorbei, vorne eine Plastikfolie als Fenster, dahinter sitzt der Hund der Familie und blickt durch. Eine Gruppe junger Amerikaner geht vorbei, das einzige weibliche Mitglied nimmt parallel an zwei internationalen Wettbewerben teil: a) Wer trägt die kürzesten Hotpants? und  b) Wer hat die dicksten Oberschenkel? Und sie hat sehr gute Chancen, bei beiden Veranstaltungen ganz weit vorne zu landen.

Als dann die schwarzgekleidete Frau mit den blauen Haaren, den selbstgestrickten Wollstrumpfhosen in Regenbogenfarben (Farbwechsel alle zehn Zentimeter aufwärts) und den adrett gekleideten Eltern vorbeikommt, stelle ich die Frage „Was macht der Punk in Beaune?“ Antwort von rechts: „Na, der braucht auch mal Urlaub.

Remmidemmi am Hôtel-Dieu.
Dem unbekannten Trinker.

Von Beaune geht es nach ca. einer Stunde weiter in Richtung Santenay, bei der Monstertraube von Puligny-Montrachet fahren wir rechts rein, stramm hinauf und auf alten Wirtschaftswegen durch die Weinberge. Einmal oben angekommen, fährt man die Weinkarte in sanften Windung und milden Auf- und Abfahrten nach Norden.

Grands Crus, Grande Route.
Der goldene Spross.
Hier wusch man früher die schmutzige Wäsche und eine Hand die andere.
Aloxe-Corton, wird hier nur en carton verkauft (wenn überhaupt).
Anschauen ja, aber nicht anfassen.

Kurz vor NSG ist der Spaß zu Ende, und Mo hat sowieso keine Lust mehr. Es ist bereits nach vier, jetzt ruft das Cassisium, und die Dame an unserer Rezeption meint, man müsse auf jeden Fall vor fünf da sein, um alles in Ruhe erleben zu können. Mehr als ein bisschen frischmachen ist also nicht drin.

Das Hotel schenkt uns einen Eintritt, das ist gut so, hätten wir beide bezahlen müssen, wären wir noch unzufriedener gewesen. Auf den ersten Blick ist die Idee dieses „Museums“ gut. Der Cassis ist ein wichtiges Produkt der Region, hat weltweit einen guten Namen und schmeckt lecker. In den ersten beiden Räumen macht es auch noch Spaß zuerst sehen wir einen Zusammenschnitt von Szenen aus französischen und internationalen Filmen, in denen der Cassis eine Rolle spielt, danach eine didaktisch gut gemachte Führung zur Entwicklung der Pflanze und der Produktion des Likörs sowie einen Schrein mit alten Flaschen, Rezepten und sonstigen Devotionalien.

Früher konnten auch Holländer und Engländer Cassis, ...
... aber nur der Franzose hatte das richtige Rezept.
Und heute gehört das alles Cointreau.

Das Anschauen wird jäh unterbrochen, alle Besucher müssen einen weiteren Film gucken, der alle Informationen der ersten beiden Räume nochmal (vorsichtig formuliert) kindgerecht aufbereitet. Mit tanzenden Cartoon-Beeren und ähnlichen Unannhemlichkeiten. Der Rest der Veranstaltung findet zwischen Stahltanks statt und bringt leider wenig weitere Neuigkeiten. Am Ende folgt der obligate Durchmarsch der Boutique mit Verkostung und Verkaufsabsicht.

Wir kennen das Prozedere natürlich auch von anderen Anbietern, wie z.B. Veuve Ambal. Deren Unternehmens- und Produktpräsentation ist aber um einiges durchdachter und professioneller, der Aha-Effekt deshalb um einiges größer.

Wird Zeit, dass wir ins Hotel kommen, das Essen wartet. Auch heute wieder das volle Programm an den Nachbartischen. Gegenüber eine sprachlose Familie aus Vater, Mutter, Sohn, die erst zum Leben erwacht als Vaters iPhone klingelt und danach das iPad benutzt werden darf. Der Sohn scheint technisch sehr weit vorn, hatte aber wohl nie eine Gebrauchsanweisung für Messer und Gabel. Links eine belgisch-niederländische Familie mit drei Kindern von ca. vier bis acht Jahren, rechts ein holländisches Paar mit einer Tochter von ca. eineinhalb Jahren. Rechts kann man zuschauen, wie die kleine Prinzessin den fein gemachten Papa und die schwangere Mama für das weitere Zusammenleben konditioniert, links sehen die drei anderen Kinder diesem lauten Treiben fassungslos zu.

Der Vater mit den knisternden Scheinen ist heute nicht da, man hätte ihn auch kaum gehört.

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